Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
streichen.«
Sie schwiegen.
»Wir haben einen ganzen Tag verloren«, sagte Louise.
»So kann man das nicht sehen.«
Sie bremste an einer Ampel. Vor ihnen stand der schwarze Volvo von Claus Rohmueller, der sie zur Wohnung seiner Tochter führte. Sie glaubte zu spüren, dass er sie im Rückspiegel beobachtete. Dass er ein aufmunterndes Lächeln brauchen konnte. Aber ihr war nicht nach lächeln.
»Und Rohmueller? Sollen wir den auch streichen?«
Sie zuckte die Achseln. An sich gehörten Väter zum Kreis der potenziellen Verdächtigen. Wie Serge/Freiburg, der letzte Exfreund. »Ich denke schon.«
»Aber sollten wir ihn nicht mal durchleuchten? Wirtschaftliche Lage und so. Woher kommt all das Geld? Ist überhaupt noch Geld da?«
»Auch damit hätten wir gestern anfangen müssen.«
»Louise …«
Sie blickte ihn an. Unter der Sonnenbrille waren seine Augen nicht zu erkennen. Er sah so anders aus als vor zwei Jahren. Ein paar Jahre älter, viele Jahre müder. Das Gesicht blass und aufgedunsen, an Bauch und Hüfte Fettansatz. Ununterbrochen stand Schweiß auf seiner Stirn, obwohl er sich meistens kalt anfühlte, wenn sie ihn berührte.
»Warum mache ich immer wieder solche Fehler, Illi?«
»Du machst keine Fehler. Du bist bloß nicht allwissend.«
»Einen ganzen Tag verloren, weil ich es nicht ernst genommen habe.«
Thomas Ilic sagte nichts.
»Ich hätte dich damals nicht mit zum Rappeneck nehmen dürfen.«
»Fang nicht wieder damit an.«
Sie wandte sich nach vorn. Der Volvo fuhr los, und sie gab Gas. »Und das mit den Niemanns …«
»Ist jetzt alles deine Schuld?«
»Konzentriere ich mich nicht genug? Halte ich mich zu selten an die Vorschriften? Ich hätte dich damals …«
»Quatsch, Louise.«
»He, das ist mein Wort.«
Thomas Ilic kicherte. »Schönes Wort. Man kann so viel Inbrunst reinlegen.«
»Ich kann das besser.«
»Mach mal.«
»Quatsch.«
»Ja, du kannst es besser.«
»Es muss von unten kommen. Aus der Brust.«
»Quatsch« , sagte Thomas Ilic aus der Brust.
»Genau.«
Sie lachten verhalten.
»Willst du ein paar von meinen Pillen?«, fragte Thomas Ilic. »Helfen gegen Depressionen und schlechtes Gewissen.«
»Quatsch.«
Thomas Ilic nickte lächelnd.
»Machen wir’s wie früher, Illi.«
»Du redest, ich höre zu?«
»Ja.«
Sie fühlte sich ein wenig besser, doch die Fragen hatten sich in ihrem Kopf festgesetzt. All das hätte und wäre und wenn ich nur .
Sie sprach, er hörte zu. »Am Samstagabend um acht war sie mit der Freundin im Wiener essen. Um zehn sind sie ins Oscar’s, um eins ins Kagan. Alles normal, keine Vorkommnisse, Nadine wie immer, sagt die Freundin.«
»Beatrice.«
»Beatrice. Wo hast du die eigentlich her?«
»Von Rohmueller.«
»Natürlich. Also. ›Wie immer‹ heißt: gut gelaunt, aber zurückhaltend, ein bisschen verklemmt, unsicher, ziemlich spießig, weil sie sich noch nicht von Erziehung und Elternhaus und Erwartungen freigekämpft hat. Den Männern gefällt sie, aber sie ist zu schüchtern, um das zu bemerken oder das Spiel mitzuspielen. Um fünf am Sonntagmorgen geht sie, sie will mit einem Taxi heim.«
»Ja.«
»Ist sie daheim angekommen oder nicht? Ist sie noch mal weg? War jemand in ihrer Wohnung?«
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Thomas Ilic schrieb. Sie wusste, was – Taxigesellschaften überprüfen. Auch das hatten sie noch nicht getan. Verärgert schüttelte sie den Kopf.
»Am Sonntagmittag um elf war sie nicht beim Brunch im Aran, obwohl sie mit Beatrice und anderen verabredet war.«
»Wie jeden Sonntagmittag.«
»Dazwischen ist es passiert. Zwischen Sonntagmorgen, fünf Uhr, und Sonntagmittag, elf Uhr.«
»Ja.«
»Haben wir bei den Telefongesellschaften nachgefragt?«
Thomas Ilic schrieb.
»Verflucht«, sagte Louise. »Ruf Karin an, sie soll sich sofort darum kümmern. Die Taxifirmen, die Telefonate.«
Thomas Ilic zog sein Handy heraus. »Kannst du bitte die Heizung einschalten?«
»Wir haben Sommer, Illi.«
Thomas Ilic wählte.
»Ist dir wirklich kalt?«
»Ich weiß nicht. Ja, ich glaub schon.«
Sie drehte am Regler. »Auch das Gebläse?«
»Wenn’s dir nichts ausmacht.«
Immerhin, Karin, die Kommissarsanwärterin, hatte ein paar Ergebnisse. Nadine Rohmuellers Name tauchte weder bei Mietwagenfirmen noch bei Fluggesellschaften auf, und zumindest online hatte sie auch keine Zugfahrkarte gekauft.
Kein reiches Töchterlein, das mal ausbrechen wollte.
Keine Auslandsreise.
»Suizid?«, fragte Thomas Ilic
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