Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
und Daten.
»Kennen Sie eine Inge und einen Rudi?«
»Inge Rovak steht auf einer meiner Listen, sie studieren zusammen. Rudi kenne ich nicht.«
Thomas Ilic trat vom Flur ins Wohnzimmer. »Louise?«
Er führte sie ins Bad, öffnete den Spiegelschrank über dem Waschbecken. Eines der Fächer war mit Medikamentenschachteln gefüllt. Luvox, Fluctin, Cipramil, Seroxat, las sie.
»Antidepressiva«, sagte Thomas Ilic leise.
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück.
»Haben Sie etwas gefunden?«, fragte Claus Rohmueller.
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Blick begegnete dem von Thomas Ilic. »Beschreiben Sie Ihre Tochter. Was müssen wir wissen?«
Claus Rohmueller verschränkte die Hände vor dem Bauch, die Daumen rieben krampfartig aneinander. Nadine war schlank, sehr hübsch, intelligent. Scheu. Introvertiert. Sie machte Yoga und ging alle zwei Tage Joggen. Sie war körperlich fit.
Irgendwelche Krankheiten?
Nein, keine Krankheiten.
Drogen?
Ich bitte Sie! Nein!
Medikamente?
Medikamente? Nein, keine Medikamente, was für Medikamente?
Louise zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: War doch nur eine Frage.
»Fahren Sie heute nach Bonn zurück?«, fragte Thomas Ilic.
»Nein, ich bleibe so lange hier, bis …« Rohmueller brach ab.
Einen Moment lang sprach niemand.
»Fahren Sie nach Hause, Herr Rohmueller«, sagte Louise dann. »Kümmern Sie sich um Ihre Frau.«
»Sie kommt morgen her.«
»Dann sollte sie Ihr Telefon zu Hause aufs Handy weiterschalten. Falls jemand in Bonn anruft.«
»Natürlich.« Er zog ein Notizbuch aus der Tasche, notierte etwas, steckte es wieder ein. »Kann ich hier bleiben? In Nadines Wohnung?«
»Heute nicht.«
»Aber ich …«
»Die Kollegen von der Spurensicherung kommen später. Wenn die fertig sind, können Sie rein.«
»Gut. Dann warte ich hier auf Ihre Kollegen und …«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatten in diesen wenigen Minuten schon genug Spuren zerstört.
Draußen, vor dem Volvo, verabschiedeten sie sich.
»Rufen Sie an, wenn Sie wissen, wo Sie heute Nacht schlafen«, sagte Thomas Ilic.
Claus Rohmueller nickte. »Und Sie … Sie fahren jetzt nach Grezhausen?«
Sie antworteten nicht.
»Könnte ich nicht mitkommen?«
»Nein«, sagte Louise.
»Und wenn …«
»Nein.«
Rohmueller wandte sich ab, öffnete die Fondtür, ließ den Hund ins Auto.
Louise berührte ihn am Arm. »Wenn ich Sie in Grezhausen sehe …«
»Ich verstehe.«
»Das hoffe ich.« Sie wartete. Aber Claus Rohmueller sagte nichts mehr.
Schweigend sahen sie dem Volvo nach.
»Suizid können wir also streichen.«
»In so einer Wohnung bringt man sich nicht um, Illi.«
»Nein?«
»Keine Wohnung für Blut, Leichengeruch, Urinflecken. Falls sie es getan hat, dann woanders.«
»Und wo? Wo bringt man sich um, Louise?«
»Sag du es mir.«
Thomas Ilic runzelte die Stirn. »In der Badewanne.«
Sie stiegen in den Wagen. Louise wollte nachfragen, aber sie ließ es. Nicht jetzt, dachte sie. Nicht schon wieder ablenken lassen.
Abends mal, bei einem Glas irgendwas.
Sie musste ihm ohnehin noch sagen, dass Ben Liebermann jetzt in Freiburg lebte und dass sie zusammen waren. Die beiden hatten miteinander studiert, und vor einem halben Jahr hatte Thomas Ilic den alten Studienkollegen im Südosten aufgespürt und ihm eine Frau mit einer heiklen, inoffiziellen Mission runtergeschickt. Manchmal fragte sie sich, ob er geahnt hatte, was geschehen würde. Ob er es gehofft hatte, für sie und Ben Liebermann.
»Im Auto. Sie nimmt Schlaftabletten und setzt sich ins Auto.«
»Das Auto steht in der Garage.« Thomas Ilic räusperte sich.
Ein Streifenwagen vom Revier Nord hielt hinter ihnen. Thomas Ilic stieg aus und brachte dem Kollegen Nadines Wohnungsschlüssel für die Techniker, die irgendwann am Vormittag eintreffen würden.
Als er zurück war, sagte sie: »Vielleicht auch an einem besonderen Ort. Ein Lieblingsort, der mit irgendeinem Schriftsteller zusammenhängt, den sie verehrt. Hier schrieb Schiller seine … seine … irgendwas. Hier entschläft Nadine.«
»Das ist zynisch.«
Sie zuckte die Achseln, fuhr los. Menschen, die Romane mit dem Leben verwechselten, machten nun einmal zynisch. Da verehrte man tote Schriftsteller und kriegte das eigene Leben nicht hin.
4
Grezhausen lag im Sonnenschein, ein kleiner Weiler im Dreieck Tuniberg, A 5 und Rhein, ursprünglich im Besitz des Zisterzienserinnenordens von Günterstal, der hier verschiedene Höfe unterhalten habe, las Thomas Ilic aus seinen Unterlagen
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