Jäger: Thriller (Ein Marina-Esposito-Thriller) (German Edition)
wollte Franks wissen.
»Er hat mich vom Gefängnis abgeholt. Ist mit mir zu dem Wohnwagen gefahren. Er hat mir gesagt, dass ich jetzt ein neues Leben hab. Eigentlich war er ganz in Ordnung.« Stuart lächelte kurz, bevor sich seine Züge erneut verfinsterten. »Aber dann hab ich Josephina gesehen. Sie war angebunden. Und …« Ein Schauer durchlief ihn. »Amy war gar nicht nett zu ihr.«
Marinas Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. »Was genau meinen Sie damit, Stuart?« Sie hörte sich sehr gefasst an, wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.
»Sie … hatte sie an der Türklinke festgebunden. Hat gesagt, wenn sie nicht still ist, dann würde sie …« Er schüttelte den Kopf.
»Reden Sie ruhig weiter«, ermunterte Marina ihn.
»… sie hat gesagt, sie würde sie den Hunden zum Fraß vorwerfen.«
Sofort hatte Marina die zwei toten Hunde vor Augen. Auf einmal war sie demjenigen dankbar, der sie getötet hatte.
»Und das fand ich nicht in Ordnung. Nein.« Wieder schüttelte Stuart den Kopf. »Nein. Als wir dann weg mussten, als Jiminy …«
»Getötet wurde«, warf Franks dazwischen.
Stuart nickte. »… da sind wir … Ich weiß nicht, wo wir hingefahren sind. Aber dann ist Amy verrückt geworden. Noch verrückter als vorher. Und ich hab ihr gesagt … Ich hab ihr gesagt, dass ich nicht mehr mitmache, wenn sie weiter so gemein zu Josephina ist. Ich hab ihr gesagt, sie darf ihr nichts tun, sonst helfe ich ihr nicht. Und sie hat sich daran gehalten. Also hab ich ihr geholfen.« Er lächelte.
»Gut gemacht, Stuart«, lobte Marina. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass das Wohl – sogar das Leben – ihrer Tochter in den Händen dieses Mannes gelegen hatte.
»Danke schön«, sagte Stuart und strahlte. »Und ich hab Amy auch gesagt, dass es mir reicht. Dass ich nicht mehr will.«
»Wann haben Sie ihr das gesagt?«, wollte Franks wissen.
»In der Scheune. Als sie mir die Pistole gegeben hat. Ich wollte Josephina nichts tun, obwohl Amy gesagt hat, dass ich es muss.«
Erneut drehte sich Marina der Magen um.
»Aber ich wollte Amy was tun.« Wieder ein Lächeln. »Ich wollte sie nämlich töten.«
Weder Franks noch Marina sagten ein Wort.
»Ich weiß, dass das verboten ist und dass man so was nicht machen soll. Das ist mir schon klar. Aber sie war …« Ein Stoßseufzer. »Ich wusste einfach nicht mehr weiter.« Er nickte, wie um zu bekräftigen, dass seine Entscheidung die richtige gewesen war. »Aber dann ist die Polizei gekommen und hat mich hierher gebracht.«
»Ja …«, sagte Franks.
»Ich wusste nämlich, wer sie war. In der Scheune ist mir alles wieder eingefallen. Die guten Sachen, aber auch die schlimmen.«
Franks warf Marina einen auffordernden Blick zu, der hieß: Ich könnte ein bisschen Unterstützung brauchen.
»Was ist Ihnen wieder eingefallen, Stuart?«, fragte Marina.
»Na, alles. Über Amy. Deswegen wollte ich sie ja auch erschießen.«
»Weswegen, Stuart?«
»Weil ich wieder wusste, wer sie ist.«
Marina wollte die nächste Frage stellen, aber Stuart war noch nicht fertig.
Er lächelte. »Und ich weiß jetzt auch wieder, wer ich bin.«
96 Amy saß auf dem Fußboden des ehemaligen Wohnzimmers, den Kopf gegen die feuchte, bröckelnde Wand gelehnt. Sie hatte ihre ursprüngliche Meinung revidieren müssen: Das Haus von früher war durchaus nicht verschwunden. Sie war noch gar nicht lange hier, und schon waren die Jahre von ihm abgefallen wie die schwarz verfärbten Tapeten hinter ihr an der Wand, und das Haus hatte sich ihr in seiner ursprünglichen Gestalt offenbart. So wie sie sich daran erinnerte.
Sie ließ den Strahl ihrer Taschenlampe tanzen. Er warf immer nur kleine Lichtflecken ins Dunkel. Sie versuchte zu erkennen, was dahinter lag, im Schatten. Sie glaubte, Bewegungen wahrzunehmen. Irgendetwas huschte vor dem Lichtstrahl davon, als wolle es um keinen Preis gesehen werden. Amy fürchtete sich nicht. Sie war sogar froh, denn sie wusste, was sich dort bewegte.
Geister. Erinnerungen.
Die Geister waren überall. In der Dunkelheit, in den Schatten, sobald der Lichtkegel weitergewandert war. Sie hörte sie, sah sie von einem Zimmer ins andere huschen. Spürte ihre Wärme. Konnte sie fast greifen. Das Glück. Wie der Garten Eden vor dem Sündenfall.
Bevor alles schiefgelaufen war. Der Tod ihrer Mutter. Dieser schwachsinnige Junge.
Dann das Ende von allem.
Hier in diesem Zimmer war es passiert.
Sie sah zu der Stelle, an der sie gestanden hatte.
Und
Weitere Kostenlose Bücher