Jäger: Thriller (Ein Marina-Esposito-Thriller) (German Edition)
über die Wände, griffen unaufhaltsam um sich. Manche Gegenstände, die sie berührte, zerfielen unter ihren Fingern zu Staub.
Fremde hatten in der Zwischenzeit hier gehaust. Landstreicher vermutlich, den alten Zeitungen und leeren Flaschen nach zu urteilen. Und erst der Gestank. Als wäre jemand hier gestorben. Oder hätte seine letzten Tage hier verbracht. Und die Ratten. Sie hörte das Scharren in jedem Winkel. Sie waren unruhig, weil eine Fremde in ihr Revier eingedrungen war.
Das Kind plärrte immer noch.
Da kam Amy eine Idee. Sie lächelte. Perfekt.
Sie zerrte das kreischende Kind in den hinteren Teil des Hauses. Musste kurz suchen, bis sie das richtige Zimmer gefunden hatte. Sie war noch da. Die Falltür. Ohne die Haare des Balgs loszulassen, kniete Amy sich hin und riss am Griff. Das Holz war verzogen und wollte nicht nachgeben, doch sie ließ nicht locker. Irgendwann gelang es ihr, mit einem lauten Schrei und Schmerzen, die ihr den gesamten Arm hinaufschossen, die Falltür aufzuziehen. Sie beugte sich vor und starrte in die Tiefe. Die Stufen sahen vermodert aus, als könnten sie jederzeit wegbrechen. Der Fußboden war nicht zu sehen, weil Wasser im Keller stand. Sie lehnte sich noch weiter nach vorn. Die Wand schien dem Druck des Flusses standzuhalten. Mehr oder weniger jedenfalls. Und das Wasser war nur knöcheltief. Ausgezeichnet.
»Hast du Lust, Verstecken zu spielen?«, fragte sie das Kind mit einem grausamen Lächeln. »Na?«
Das Kind antwortete nicht. Wahrscheinlich hatte es keine Ahnung, was die Frage sollte.
»Ist sowieso egal«, sagte Amy und stieß die Kleine in den Keller.
Sie schrie aus Leibeskräften, bis die Falltür krachend über ihr zuschlug.
Amy erhob sich, machte kehrt und ging davon.
Josephinas Schreie wurden immer leiser und gingen bald in den vielen Geräuschen des Hauses auf: dem Knarren und Ächzen und Scharren und Rascheln.
Die stummen Schreie aus der Vergangenheit.
Und der Gegenwart.
94 Jessie öffnete die Augen, aber es blieb dunkel. Sie lag mit dem Rücken auf etwas Kaltem, Hartem. Sie versuchte sich zur Seite zu drehen und aufzustehen. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Arm. Keuchend ließ sie sich zurücksinken.
Sie wusste noch, wie sie Helen Hibbert zu Hilfe gekommen waren. Dann hatte irgendein … grauer Goliath sie angegriffen. Er hatte sie am Arm verletzt. Bestimmt war er gebrochen. Und dann … nichts mehr. Schwärze. Bis sie hier aufgewacht war.
Mit dem unverletzten Arm tastete sie ihre unmittelbare Umgebung ab. Die Fläche, auf der sie lag, war aus Metall. Massiv. Sie erschauerte. Dann nahm sie eine Bewegung wahr. Jemand – oder etwas – lag neben ihr auf dem Boden. Unmittelbar neben ihr.
»H-hallo … Wer ist denn da?«
»Ich bin’s, Ma’am«, kam eine gedämpfte Stimme zurück.
Sie stieß den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte. »Deepak … Ist alles in Ordnung?«
»Ich glaube schon, Ma’am. Mir brummt bloß der Schädel. Scheint aber nichts gebrochen zu sein.«
»Ein Glück für Sie.«
»Was?«
»Mein Arm …«
»Hallo?« Noch eine Stimme. Weiblich. Verstört.
»Helen Hibbert«, sagte Deepak. »Sind Sie das? Sind Sie auch hier?«
»Ja … ja, ich bin’s«, kam es leise und stockend aus dem Dunkel zurück. Helen klang zu Tode verängstigt.
»Geht es Ihnen gut?«, erkundigte sich Jessie.
»Ich … Ich glaube schon …«
»Gut.« Erneut versuchte Jessie sich aufzusetzen. Ohne Erfolg. Ächzend vor Schmerz sank sie wieder zurück. Sie versuchte, in der Finsternis irgendetwas zu erkennen. Verschiedene Grade von Schwarz voneinander zu unterscheiden. Aussichtslos.
»Hat einer von Ihnen zufällig eine Idee, wo wir sind?«, fragte sie.
»Ich nicht, Ma’am«, kam Deepaks Antwort. »Wir waren bei den Booten, und jetzt sind wir auf einmal hier. Ich kann mich noch an den Kampf erinnern, aber was danach kam …«
»Aha.« Stille. Jessie horchte angestrengt, versuchte irgendwelche Geräusche aufzuschnappen, die ihr verraten könnten, wo sie sich befanden. Nichts. Sie waren in irgendeinem Raum oder einem Behältnis eingeschlossen, so viel stand fest. In einem kalten Behältnis aus Metall.
»Helen«, sagte sie. »Wieso haben die das mit uns gemacht? Wo sind wir hier?«
»Ich … Ich weiß es nicht …« Helen Hibberts Stimme bewegte sich am Rand zur Hysterie. Jessie hatte das Gefühl, dass sie jeden Moment abstürzen und losschreien könnte. Sie musste mit ihr reden, damit sie sich ein bisschen beruhigte.
»Warum
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