Jäger: Thriller (Ein Marina-Esposito-Thriller) (German Edition)
habe? Nein, das hatte sie nicht. Im Gegenteil, es machte die Sache nur noch prickelnder. Die Schießerei sei auch kein Unfall gewesen, sondern geplant. Diesen Teil hatte sie sich bereits selbst zusammengereimt. Ob ihr das etwas ausmache? Wieso sollte es ihr etwas ausmachen?
»Perfekt«, sagte er.
Und es stimmte. Zusammen waren sie perfekt.
Sie würde nicht zulassen, dass irgendjemand sich zwischen sie drängte. Egal, welchen Preis sie dafür zahlen musste.
Sie betrat das Haus. Es stank nach Alter und Fäulnis. Die Luft war klamm. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie hie und da etwas davonhuschte. Sie machte sich auf den Weg in den Raum, den Michael ihr beschrieben hatte. Das Wohnzimmer.
Dort würde sie warten, hatte er gesagt. Nach allem, was in diesem Raum passiert war, würde sie mit Sicherheit dort warten.
Dee war im Wohnzimmer angelangt. Ganz hinten am anderen Ende bewegte sich etwas. Größer als eine Ratte. Dee kämpfte gegen den Drang an, kehrtzumachen und zu fliehen. Tapfer blieb sie stehen.
»So«, kam eine raue Stimme aus der Dunkelheit. »Die zweite Frau trifft die erste. Endlich.«
Ein Licht ging an. Es war grell und blendete Dee. Sie kniff reflexartig die Augen zusammen, um sie dann ganz langsam wieder zu öffnen. Vor ihr stand eine Gestalt mit einer Pistole in der Hand. Angst durchzuckte Dee. Dann wanderte ihr Blick über den Körper der anderen Frau.
Und ihr drehte sich der Magen um.
103 » DI May.« Sein Händedruck war kräftig. Mit seiner beginnenden Glatze, den grauen Haaren und dem Bart wirkte er durch und durch wie ein Polizist der alten Schule. Er sprach den typischen rauen Arbeiterdialekt aus Essex, der sich durch Zeit und Bildung allerdings ein wenig abgeschliffen hatte.
Mickey und Anni stellten sich ihm vor. »Also«, sagte Mickey dann. »Wie ist die Lage?«
»Wie es aussieht, haben DS James und DC Shah am gleichen Fall gearbeitet wie Sie zwei«, sagte May einleitend.
»Das stimmt«, bestätigte Mickey. »Zwei Morde, eine verschwundene Frau, Kindesentführung, und irgendwie scheinen die Sloanes ihre Finger dabei im Spiel zu haben.«
»Ah«, erwiderte May. »Michael Sloane. Der Howard Hughes von Suffolk. Unser ortsansässiger Hochadel. Die Unantastbaren.«
»Den Eindruck hatten wir auch«, versetzte Anni.
Sie standen am Eingang zum Frachthafen von Harwich. Nebel war aufgezogen und hatte Kühle mitgebracht. Mickey und Anni fröstelten. Der Parkplatz war fast leer, die Sattelschlepper und Lastzüge waren bereits beladen worden und auf der Fahrt zu ihren Bestimmungsorten. Vor ihnen lagen Frachtschiffe und Tanker vertäut. Im harschen Schein der Flutlichter wirkte die Szenerie trist und unwirtlich.
May trug eine Steppjacke, schien aber trotzdem zu frieren. »Und?«, wandte er sich an Mickey. »Erzählen Sie noch mal genau, was passiert ist.«
Mickey berichtete ihm von dem Anruf mit der seltsamen Botschaft.
May nickte. »Verstehe. Also, wir konnten das GPS -Signal von DC Shahs Handy orten. Das ist schon mal ein Vorteil. Allerdings ist es ziemlich schwach. Wir sollten uns beeilen.«
»Von wo kommt es denn?«, wollte Mickey wissen.
May deutete auf einen der Frachter. »Von dort, so wie es aussieht.«
»Von einem Schiff?«, vergewisserte sich Anni. »Von dem da drüben?«
May nickte. »Soweit wir feststellen konnten. Wir haben extra unsere Experten kommen lassen. Wir wollten keine Zeit verlieren, solange sein Akku noch funktioniert.«
»Auf wen ist das Schiff registriert?«, fragte Mickey nun.
May lächelte. »Ausgezeichnete Frage. Auf Sloane Holdings.«
»Damit dürfte der Fall klar sein. Brauchen wir einen Durchsuchungsbeschluss?«
»Gefahr im Verzug, DS Philips.« May warf einen Blick in die Runde. Er hatte drei seiner Kollegen mitgebracht. Deren Begeisterung darüber, sich mitten in der Nacht an diesem gottverlassenen Ort wiederzufinden, war ähnlich gering wie die von Mickey und Anni.
»Sind Sie bereit?«, fragte May.
Sie waren bereit.
»Dann los.«
104 »Wo ist er?«
Doch die Worte drangen gar nicht zu Dee durch. Mit offenem Mund starrte sie auf die Frau, die früher einmal Dee Sloane gewesen war und die ihr nun splitterfasernackt gegenüberstand.
»Wo ist er?«, schrie sie erneut.
Dee gelang es, den Schreck über den Anblick abzuschütteln und eine Antwort zu stammeln. »Er … ist beschäftigt. Deshalb hat er mich geschickt.«
»Beschäftigt? Beschäftigt?« Die Frau bebte vor Zorn am ganzen Leib. »Er ist zu beschäftigt, um sich mit mir zu treffen?
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