Jäger: Thriller (Ein Marina-Esposito-Thriller) (German Edition)
sie verdutzt an. »Was?«
»Die echte Dee«, half Marina ihm aus, eisern um Geduld bemüht. »Ihre falsche Schwester. Sie sagten vorhin, sie sei nach Hause gefahren.«
Stuart dachte kurz nach, wobei sich seine Augenlider langsam senkten.
»Stuart …«
Er fuhr hoch. »Ja. Nach Hause. Ja.«
»Gut.« Marina nickte. »Sehr gut. Wo ist dieses Zuhause, Stuart?«
Stuart blinzelte verständnislos.
»Ihr Zuhause.« Marina ließ nicht locker. »Wo ist das?«
»Ihr Zuhause?«, wiederholte er mit schleppender Stimme. »Na ja, das ist … zu Hause.« Ihm fielen die Augen zu.
Franks seufzte. Marina starrte Stuart an.
»Wir können es auch ohne ihn rausfinden«, schlug Franks vor. »Wir müssen nur in den Akten nachsehen.«
Marina sprang von ihrem Stuhl auf. »Nicht nötig. Ich weiß, wo es ist.«
107 Dee wich vor der anderen Frau zurück. »Nein.« Ihre Stimme zitterte.
Amy blieb stehen und legte den Kopf schief wie ein lauschender Hund. Ihre Augen glänzten im Licht der Taschenlampe, und Dee lief ein Schauer über den Rücken. »Wieso nicht? Hast du etwa Angst, dass es ansteckend ist? Dass du früher oder später auch so aussehen wirst, wenn ich dich anfasse?«
»Ich …« Dee machte einen weiteren Schritt rückwärts. »Ich …«
»Ich will dich bloß anfassen. Was ist schon dabei? Ich will nur mal fühlen, wie ich mich früher angefühlt hab …«
Amy hatte sich wieder in Bewegung gesetzt. Diesmal blieb Dee stehen. Es wäre besser, sich von der Verrückten anfassen zu lassen, als von ihr erschossen zu werden. Sie hatte den Golem dabei, doch nicht einmal der wäre schnell genug, um sie vor einer aus nächster Nähe abgefeuerten Kugel zu schützen.
Amy kam immer näher. Ihr Atem stank genau wie das verfallene Haus, in dem sie sich befanden. Sie streckte die Hand aus und strich Dee über die Wange. Ihre Finger waren rau und voller Schwielen. Es war, als würde man sein Gesicht an einem Stück Baumrinde reiben. Dee versuchte krampfhaft stillzuhalten.
»Das ist … Das ist, als würde ich in einen Spiegel schauen. Einen, in dem man die Vergangenheit sehen kann …« Amy sprach andächtig und leise, fast flüsternd. »Wie viel?«
»Was?«
»Wie viel hat es gekostet? Um aus … wer auch immer du vorher warst … mich zu machen?«
»Ich … Ich weiß es nicht genau. Ziemlich viel.«
»Ziemlich viel.« Amy nickte, als sei dies die richtige Antwort. »Ziemlich viel.«
»Er … Er hat gesagt, ich soll schöner werden. Hat gesagt, dass ich hinterher noch schöner aussehen werde, wenn ich ihm freie Hand lasse.«
»Also hast du ihm freie Hand gelassen.« Noch immer lagen Amys Finger an Dees Wange. Ihr Blick glitt über ihr Gesicht, musterte es. Ihre Miene veränderte sich dabei von Sekunde zu Sekunde; einmal sah sie wehmütig aus, als würde sie alte Liebesbriefe lesen, dann wieder wie ein Bauer auf dem Viehmarkt. »Du hast ihm freie Hand gelassen …«
Von Amys Tonfall ermutigt, ergriff Dee das Wort. »Mir hat das nichts ausgemacht«, erklärte sie. »Was er mit mir vorhatte. Es hat weh getan, aber …«
»Ja.« Amy streichelte sie. Ihre Stimme war noch immer ganz ruhig. »Meine Operationen haben auch weh getan.«
»Noch schöner sollte ich werden. Das hat er gesagt. Und jetzt bin ich noch schöner.« Dee sah Amy ins Gesicht. Schöpfte Kraft aus ihren eigenen Worten und ihrer Position. Sie war die Siegerin. Sie war jung und schön. Sie hatte Michael. Diese verrückte Vogelscheuche hatte nichts.
Sie lächelte. »Er hat was Besonderes in mir gesehen. Da war von Anfang an eine Verbindung zwischen uns. So was habe ich noch bei keinem anderen erlebt. Wir sind Seelenverwandte.«
Amy ließ die Hand sinken und wich zurück. Sie blickte Dee geradewegs in die Augen. »Dass ich nicht lache. Seelenverwandte. Du weißt gar nichts.«
»Ich weiß alles.«
»Du weißt nichts.« Amys Stimme wurde lauter und begann zu zittern. »Über ihn. Über mich. Nicht das Geringste.« Sie stand da und funkelte Dee an. »Seelenverwandte. Wir waren Seelenverwandte. Er wollte mich. Und ich wollte ihn. Wir hatten einander. Mehr brauchten wir nicht. Wir waren unsere ganze Welt.« Ihre Züge verzerrten sich. »Und dann kam der Junge …«
»Das weiß ich alles schon«, fiel Dee ihr ins Wort. »Michael hat es mir erzählt. Wie Sie beide Stuart gehasst haben. Wie Ihr Vater wollte, dass er zur Familie gehörte, und seine Mutter heiratete. Dass er ein neues Testament aufgesetzt und ihn zum Miterben ernannt hat. Und dass er damit
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