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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Zeit,
wieder ganz von vorne anzufangen. Ich konnte nicht einfach so
aufgeben. Zu viel stand auf dem Spiel. Der große Wurf. Ich
besaß zwar nur eine kurze, erbärmlich kurze Liste von
Proteinen, aber vielleicht bot sie eine Grundlage für den
Neuanfang.
    Mit mechanischen Bewegungen kramte ich die vier Handys aus meinem
Koffer, legte sie aufs Bett und überprüfte ihre Displays:
Hatte ein anderer Gönner angerufen? Vielleicht hatte Mr. Song es
ja satt, Schlangengalle zu trinken.
    Ich hatte zwei Nachrichten auf dem Nokia-Handy und wählte
mich ein, um sie abzurufen. Die erste Nachricht stammte von Rob und
schien aus großer Entfernung zu kommen.
    »Ich kann jetzt nicht lange reden, Hal, muss los, wollte dir
nur sagen, wie Leid es mir tut. Wir hätten zusammenarbeiten
sollen. Ich hab versucht, dich da rauszuhalten, aber jetzt versuchen
sie wahrscheinlich, uns beide am Arsch zu kriegen. Wir sind uns zu
ähnlich. Wie ein Ei dem anderen. Ich hab erfahren, dass Silt auch hinter dir her ist.«
    Genau so klang es, digital verzerrt, und genau so habe ich es auch
notiert: Silt.
    »Sprich bitte mit K. Ich habe ihm ein Paket für dich
anvertraut. Er ist ein armer, ziemlich verrückter Mistkerl, aber
er weiß mehr als jeder andere. Das Paket wird dir viel
erklären, falls du eins und eins zusammenzählen kannst.
Halte die Augen offen.« Als er trocken auflachte, klang es wie
das Husten eines kranken Hundes. »Nach all diesem Mist, dem du
ausgesetzt bist: Warum drehst du nie durch? Hast du gar keine
Furcht?«, setzte er mit einem Reim nach.
    Er sog scharf die Luft ein und sagte, soweit ich mich erinnere,
zum allerersten Mal: »Wir sind nicht unbedingt Freunde, aber ich
hab dich wirklich lieb, Prinz Hal.«
    Meine Faust verkrampfte sich. Ich zerknüllte die Steppdecke
und zerrte die drei Kissen zum Nachttisch hinüber, während
das Handy die zweite Nachricht ankündigte.
    Es war Lissa.
    »Bitte ruf deine Mutter an, Hal. Ich habe ihre Nummer nicht
bei der Hand und bringe es so und so nicht übers Herz, sie
anzurufen. Es tut mir so Leid. Die Polizei von New York sagt, Rob ist
tot. Er wurde in irgendeiner dunklen Gasse erschossen. O Gott, Hal,
ich kann nicht mehr normal denken. Ich weiß nicht, was ich tun
soll. Ich kann überhaupt nicht mehr denken.«
    Denken, denken, denken, wie silberne Tropfen auf der
winzigen Sprechmuschel.
    Sie hatte ihre Nummer hinterlassen und aufgelegt. Das System
fragte, ob ich die Nachricht speichern oder löschen wolle.
    Ich klappte das Nokia zu. Stand auf. Wandte mich nach links,
wandte mich nach rechts, ließ den Blick durch das neutrale,
aufgeräumte Zimmer schweifen. Tastete nach meinem PalmSec, um
Moms Nummer in Coral Gables nachzusehen. Setzte mich aufs Bett und
ließ alle Luft aus meinen Lungen weichen, bis der Raum schwarz
wurde. Ich brachte es nicht über mich, den Anruf zu machen. Was
sollte ich ihr sagen? Konnte ich wirklich irgendetwas von dem, was
ich gehört hatte, glauben? Irgendetwas davon?
    Diese Sache, um die ich mich gedrückt hatte – Rob
aufzuspüren und herauszufinden, was ihm so zu schaffen machte
–, hatte mich wieder eingeholt, um mich erneut zu quälen.
Blutsbande sind verdammt dicke Bande.
    Ich sog etwas Luft in meine Lungen und starrte die Uhr des
Radioweckers auf dem Nachttisch an. Es war halb vier Uhr morgens.
Während ich so dasaß, heulte ich wie ein
verängstigtes Kind. Dass dieses saubere Zimmer Sicherheit bot,
war nichts als eine gottverdammte Illusion.

 
Kapitel 16
     
    Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte. Also schloss ich
die Zimmertür ab, legte die Kette vor, verriegelte das
Sicherheitsschloss, schob ein Schränkchen vor die Tür,
nachdem ich den Fernseher ausgestöpselt hatte, und zog die
schweren Vorhänge vors Fenster.
    Ich hatte immer große Hoffnungen für die Menschheit
gehegt und mich nie der Verzweiflung hingegeben, so schwierig das
Leben manchmal auch sein mochte. Ich hatte angenommen, ich
wüsste, wie die Dinge liefen und wie sie sich gegen die eigenen
Träume kehren können.
    Jetzt fiel ich ins andere Extrem. Ich hatte völlig
unterschätzt, wie unerträglich eine Situation
tatsächlich sein kann. Und ich hatte das starke Gefühl,
dass sie noch viel schlimmer werden würde.
    Ich kann mich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein.
Jedenfalls war ich halb vom Bett gerutscht, als ich wieder aufwachte.
Ehe ich duschte, prüfte ich das Wasser, roch daran, rieb es
zwischen meinen Fingern und ließ es mehrere Minuten lang
laufen, um

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