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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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hatte es plötzlich eilig, sich zu verdrücken. Als
ich ihren Arm festhielt, griff Bloom mit aller Kraft nach meinem.
Einen Augenblick standen wir reglos da – ein kleines Dreieck
zwischenmenschlicher Spannung. Während Betty meinem Blick
auswich, wollte Bloom mich zwingen, ihn anzusehen. Sein Griff wurde
fester.
    »Wer hat Ihnen befohlen, Owen anzulügen?«, fragte
ich Betty.
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
    »Sie glauben, ich bin nur ein Sündenbock, mit dem Sie
alles anstellen können, was Sie wollen?« Es offen
auszusprechen, es den anderen laut ins Gesicht zu sagen, kostete mich
die letzte Kraft. So viel Kraft, dass meine Beine zitterten und meine
Stimme sich überschlug.
    »Man hat Dave Press an der Küste vor Vancouver
gefunden«, erklärte Bloom so unbeteiligt, als lasse er sich
über das Wetter aus. »Angeblich mit gebrochenem
Schädel. Entweder ist er mit dem Kopf gegen irgendetwas
gestoßen oder jemand hat ihm den Schädel
eingeschlagen.«
    Betty Shun befreite sich mit wütenden Blicken aus meinem
Griff, während Bloom mich unsanft zur Tür schob.
    •
    Der Regen hatte die Aurora Avenue in eine schwarz glänzende
Rutschbahn verwandelt. Ich hatte weder Mantel noch Schirm dabei,
deshalb blieb ich kurz unter der Überdachung stehen und sah zu,
wie der Verkehr an mir vorbeirauschte. Auf beiden Seiten der grauen
Betonbarriere, die die vierspurige Schnellstraße teilte, war
das Zischen der Reifen zu hören, die unablässig
Fontänen aufwirbelten. An derart kalte Sommernächte war ich
nicht gewöhnt, ich hasste sie – genauso wie die ganze
Stadt. Außerdem war mir schlecht. Das wenige, was ich im Canlis verzehrt hatte, lag mir schwer verdaulich im Magen und
rumorte in meinen Gedärmen. Ich fröstelte.
    Schließlich klopfte ich an die Glastür des Wohnturms
und bat den livrierten Pförtner am Empfang, mir ein Taxi zu
rufen. Er sah kurz von seinem Exemplar des Red Herring auf und
streifte mich mit einem Blick, als gehörte ich zur armseligen
Parade der Obdachlosen, die Nacht für Nacht aus dem Stadtkern
von Seattle in die nördlichen Vororte drängt.
    Gleich darauf wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der
Zeitschrift zu.
    Also ging ich die paar Blocks bis zum Lake Union zu Fuß und
umrundete die wie ein Fischhaken gekrümmte Bucht am
Südufer, bis ich am Bootsverleih angekommen war. Von hier war es
nicht einmal fünfhundert Meter bis zur hell erleuchteten Fassade
des Genetron Building.
    Vielleicht, dachte ich… Vielleicht hatten sie das
Labor versiegelt. Ich würde gar nicht mehr hineinkommen. Aber
niemand hielt mich auf. Ich ging an dem verschlafen blinzelnden
Pförtner vorbei, der zum Gruß seine Kaffeetasse hob, als
ich ihm meine Berechtigungskarte zeigte.
    Gleich darauf gab ich die Zahlenkombination in das Tastenfeld
neben der Tür ein, die mir den Zutritt zum Labor
gewährte.
    Oft warten wir darauf, dass uns der Körper mitteilt, was wir
denken und fühlen sollen. Bereits im Foyer hatte ich etwas
Saures, Salziges gerochen, doch diesen Geruch, der Schlimmes
verhieß, bewusst verdrängt.
    Der Fußboden war glitschig: Meerwasser. Das
Eiweißanalysegerät und das PCR-Gerät von Perkin Eimer
fehlten ebenso wie die Rechner. Die Wände des großen
Drucktanks waren nicht mehr beschlagen. Jemand hatte das
Verbindungskabel herausgerissen, den Deckel aufgestemmt und den
Inhalt mit einem Schrubber umgerührt. Der Schrubber lag noch auf
dem Fußboden.
    Die Vendobionten waren nur noch Gelee. Mir wurde übel. Ich
kotzte in den Ausguss des Labors.
    Doch diese grässliche Nacht war noch längst nicht
vorüber. Ich taumelte die paar Blocks bis zum Homeaway, meiner
Unterkunft, und fühlte mich wie tot. Wahrscheinlich sah ich auch
so aus. Ich schloss die Tür zu meinem Zimmer auf: Die Suite
wirkte freundlich und ordentlich, das quadratische Bett einladend und
das pastellfarbene Blumenmuster auf der Überdecke wie der
liebenswürdige Gruß aus einer Welt der
Normalität.
    Das Zimmer roch gut. Das weiße Badezimmer mit all den
winzigen Shampoo-Flaschen und Seifen, die auf kleinen, gefalteten
Gesichtstüchern in geflochtenen Körbchen lagen, blitzte vor
Sauberkeit, und der glänzend weiße, mit einer
Papierhülle überzogene Toilettendeckel kündete vom
perfekten hygienischen Zustand der sanitären Anlage.
    Das Hotelzimmer hieß mich willkommen und vertraute mir. Hier
konnte mir nichts passieren.
    Ich starrte meinen offenen Koffer und die schmutzige Wäsche
an, die daneben in einer Plastiktüte lag. Es war an der

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