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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Dörfern.
    Fünftausend politische Gefangene wurden hierher gebracht
– Juden natürlich, Militärs und ihre Familien,
Intellektuelle aus Moskau, aber auch aus weit entfernten westlichen
Regionen wie Litauen oder Georgien. Ein luxuriöser Gulag,
vermute ich, doch T. und Ch. versichern mir, es sei kein Gulag,
sondern ein Forschungszentrum gewesen. Es hatte nie einen Namen,
lediglich eine Nummer: 38-J.
    Ich mag den Ort nicht. Niemand kommt hierher, niemand lebt
hier. Ich habe das Gefühl, irgendwas stimmt hier nicht. Wir
gehen durch die Straßen und sie sind noch immer sauber, aber
leer und verlassen. Es gibt hier nicht einmal Katzen, Hunde oder
Ratten. T. und Ch. gestehen mir nur etwa eine Stunde zur Besichtigung
zu. Länger halten sie es nicht aus. Sie scheinen mehr sagen zu
wollen, doch zunächst bringen sie es nicht fertig. Sie
schämen sich so, wie ich es bei ihnen noch nie erlebt
habe.
    Aus dem wenigen, was sie sagen, schließe ich, dass jeder,
der hierher gebracht wurde, in dem Glauben bestärkt wurde, dies
sei eine Modellstadt. Eine Chance, das eigene Vergehen gegenüber
der Gemeinschaft zu sühnen und der Liquidation zu entgehen. Nach
und nach wurden die Läden der Stadt mit den von Silk
präparierten Lebensmitteln beliefert. Berija und Koba wollten
wissen, wann und in welchem Ausmaß die Wirkung einsetzen
würde.
    Jetzt taut auch T. endlich auf. Er war damals noch gar nicht
geboren, trotzdem weint er.
    Ein paar Wochen, nachdem die behandelten Lebensmittel
ausgegeben wurden, spazierten die Bewohner von 38-J nackt durch die
Straßen und kopulierten hemmungslos in der Öffentlichkeit.
Das Fleisch von Menschen – meist von Kindern – wurde in den
Metzgereien verkauft. Berija schickte einen Konvoi von Lastwagen.
Alle bis obenhin mit Waffen beladen, die er an sämtliche
Einwohner verteilte. Er tat sich groß damit, ohne
Leibwächter durch die Straßen einer Stadt zu stolzieren,
in der nur Dissidenten und politische Gefangene lebten, die ihn wie
die Pest hätten hassen müssen, dazu noch bewaffnet
waren.
    Kommandotrupps, die ihre Anweisungen über Telefon oder von
eingeschleusten Nachbarn erhielten, machten Jagd auf Leute, die die
Bibliothek besuchten, die kahl oder krummbeinig waren, die in der
Öffentlichkeit ihre Babys auf dem Arm trugen. Manchen Menschen
wurde gesagt, sie sollten aus dem Haus gehen und pfeifen, anderen
wurde eingeflößt, auf die Straße zu gehen und alle
Pfeifenden zu erschießen.
    1940 beschloss Berija, 38-J zu schließen; es war ein
großer Erfolg gewesen, fast alle waren inzwischen tot. Die
letzten Frauen, die in der Stadt noch am Leben waren, krochen auf
allen vieren durch die Straßen. Einige von ihnen, die schwanger
gewesen waren, knöpften lächelnd ihre Blusen auf und legten
die frisch geworfenen Welpen von Berijas Wachhunden an die Brust,
während Kameraleute die Szene filmten. Und Koba lachte, weil er
selten etwas so Lustiges gesehen hatte.
    Sie bestanden darauf, zum Lastwagen zurückzugehen. Sie
hatten genug, und ich ebenfalls. An diesem Abend gaben sie mir ein
Videoband. Die Geschichte von Silk, schwarz auf weiß,
festgehalten in einem Film.
     
    Es gab kein Videoband. Ich stopfte das Tagebuch und die Papiere in
den Umschlag zurück und verstaute ihn im Aktenkoffer. Nie zuvor
hatte ich etwas derart Scheußliches und Beunruhigendes gelesen.
Mir tat der Kopf weh, ich musste raus, brauchte unbedingt frische
Luft, welches Risiko ich damit auch eingehen mochte. Dennoch
rührte ich mich nicht von der Stelle, wartete auf irgendein
Zeichen, auf irgendetwas, das als Vorwand zum Aufstehen taugte. Eine
durchs Fenster summende Fliege, eine Autohupe hätten schon
ausgereicht.
    Eine Stunde verstrich, dann die zweite, ohne dass ich mich von der
Stelle bewegte. Schließlich legte ich mich aufs Bett und fragte
mich, was mit mir nicht stimmte. Ich kam auf Feigheit,
Unentschlossenheit und Stroh im Kopf.
    Als ich versuchte, in Robs Aufzeichnungen weiterzulesen,
verschwammen mir die Buchstaben vor den Augen. Der Schlaf wollte
nicht kommen. Im Zimmer wurde es heißer und heißer, die
Luft schien stillzustehen.
    Mir kam es so vor, als ebbe der Verkehr unten ab. Die Motoren
klangen auch leiser und die Stimmen weit entfernt.
    Als das Zimmertelefon losschrillte, zuckte ich zusammen und drehte
mich zu Banning um. Aber er schnarchte unbeeindruckt weiter. Beim
zweiten Läuten nahm ich ab.
    »Ja?«
    »Hier ist Rob«, sagte die Stimme am anderen Ende.
    »Großer Gott«, erwiderte ich.
    »Falsch geraten. Wie

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