Jäger
Niemand, der in dieses Lagerhaus kommt,
weiß, wo ich wohne.« Sie sah Banning direkt an. »Sie
haben keine Ahnung, wo ich wohne, nicht wahr?«
»Nein«, sagte er.
»Können Sie sich denken, was an meine Tür
gesprüht wurde?«
»Nein«, antwortete Banning mit defensiv gesenkten
Brauen.
»Jüdische Hexe und Hure.«
Die Linien in Bannings Gesicht wurden härter.
»Warum«, begann er und verstummte, um nach den richtigen
Worten zu suchen, »warum sollte ich etwas so Auffälliges
und Idiotisches tun?«
Die Callas zuckte mit den Achseln. »Ich bin keine Jüdin.
Ich habe nie im ältesten Beruf der Welt gearbeitet. Was die Hexe
angeht – da können Sie Ihren letzten Cent drauf verwetten,
dass ich eine bin. Kein Widerspruch.«
Sie ließ die Worte ein Weilchen wirken. Allmählich tat
mir Banning Leid.
»Ich glaube kaum, dass es Mr. Banning gewesen ist«,
erklärte die Callas schließlich. »Wahrscheinlich war
es einer unserer Gärtner. Ich bin deshalb zu spät gekommen,
weil ich seine lehmigen Fußspuren von der vorderen Veranda zu
den Abfalltonnen im Garten verfolgt habe. Ich will Sie nicht mit
Einzelheiten langweilen, aber er muss meine Haustür
ungefähr um fünf gestern Nachmittag besprüht haben,
gleich nachdem er den Rasen gejätet hatte. Wenn ich ihm das auf
den Kopf zusage… einem Gärtner, einem Burschen, der kaum
Englisch spricht und der kein rationales Motiv hat, so etwas zu
tun… Mit was muss ich dann rechnen?«
»Mit einem höchst verwirrten Menschen«, sagte
Banning.
»Genau diese Antwort habe ich befürchtet.« Neben
ihren Lippen erschienen dünne Linien – abwärts
verlaufende Linien. »Wird mein Gärtner von irgendeinem
höchst geheimen russischen Spionagering gesteuert?«
Keiner von uns antwortete ihr. Lächerlich, paranoid, zu
abwegig, es sich einzugestehen.
»Gehen die von Haus zu Haus wie Avon-Beraterinnen?« Die
Callas griff in die Schublade ihres Schreibtischs und zog eine mit
Computerausdrucken und Zeitungsausschnitten voll gestopfte Mappe
hervor. »Gegen einen gewissen Mr. Hefner Thorgood wurde gestern
wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz Anklage erhoben, weil er
innerhalb des Stadtgebiets einen .45er Colt, für den er keinen
Waffenschein besitzt, abgefeuert hat. Die Republik mag so etwas
nicht. Er hat zwei Hunde erschossen, die, wie er aussagte, einen Mann
anfielen. Kommt Ihnen das bekannt vor?«
Ich nickte.
»Es gibt keinen Bericht der Polizei darüber, dass die
Hundehalterin Anzeige erstattet hat, deshalb kann ich sie nicht
ausfindig machen. Aber es gibt einen früheren Polizeibericht
über einen Mann, der behauptet, dass eine Frau ihre Hunde auf
ihn gehetzt, sie dann aber zurückgerufen habe und verschwunden
sei.«
Banning nickte, als würde das, was sie sagte, in ein
bestimmtes Muster passen.
»Hat die Frau mit den zwei blutrünstigen Kötern
einen Fehler gemacht? Hat sie ihre Hunde auf jemanden gehetzt, der so
aussah und so alt war wie Sie, bevor sie Sie aufspürte?«,
fragte die Callas. »Als Nächstes haben wir hier einen Mr.
Alvarado Cunningham, ohne festen Wohnsitz. Mr. Cunningham ist ein
Trinker. Er ist bei der Polizei wegen Urinierens in der
Öffentlichkeit bekannt und weil er Plastiktüten mit seinen
Exkrementen in die Vorgärten wohlhabender Bürger wirft. Ein
stadtbekanntes Ärgernis. Er wird beschuldigt, am 8. August in
Berkeley ein Feuer gelegt zu haben. Könnte es sein, Mr. Banning,
dass ihn irgendjemand hypnotisiert hat? Oder ist er ein russischer
Spion in geschickt gewählter Verkleidung?«
Banning blieb ihr eine Antwort schuldig.
»Leute tun so etwas nicht aus heiterem Himmel, ohne
irgendeinen Grund«, sagte die Callas mit leiser Stimme.
»Gehirnwäsche ist nicht so einfach. Aber wenn ich eine so
heimtückische Intrige in die Tat umzusetzen hätte,
würde ich das folgendermaßen machen: Ich würde in der
Nachbarschaft, in der unmittelbaren Umgebung meiner Zielpersonen,
leicht beeinflussbare Leute auswählen, sie aufhetzen und
systematisch manipulieren. Mit welchen Mitteln auch immer – mit
Drogen, Hypnose, nächtlichen Anrufen. Es gibt genügend
historische Beispiele.«
Ich presste die Zähne aufeinander.
Die Callas blätterte durch weitere Kopien und Ausdrucke.
»Lassen Sie mich meine Hypothese kurz rekapitulieren. Dr.
Stanley Mauritz, angeklagt im Staat Washington wegen Mordversuchs und
Mordes, plädiert auf nicht schuldig, aufgrund von
Geistesgestörtheit. Seine Krankenakte, von seinem Anwalt bei
Gericht eingereicht, bescheinigt ihm unter anderem
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