Jäger
ausgerüstete Leute in das Zielgebiet.
Sie versprühen Phagen in den Supermärkten oder bringen sie
direkt in die Wohnungen und warten dann ein paar Tage ab. Wie oft
klingeln irgendwelche Vertreter an der Tür? Oder Zeugen
Jehovas?«
»Nicht sehr oft, hier in der Gegend«, erwiderte ich.
Aber ich verstand, was er sagen wollte.
»Wie sicher sind frisches Gemüse und Obst in den
Supermärkten?«, fragte er.
Ich legte den Kopf schief. »Man könnte eine solche
Aktion mit ganz geringem Geldaufwand realisieren. Freies Labor, freie
Ressourcen – und dann absahnen. Du lii…ber Himmel. Was ist
mit dem Internet?«
»Ich glaube, Sie verstehen das Problem«, erklärte
Cousins.
•
Um halb eins fragte ich Cousins, ob er über Nacht bleiben
wolle und wir später, am Morgen, weitermachen könnten. Er
lehnte nervös ab.
»Ich will Sie nicht in Gefahr bringen«, sagte er.
»Ich bringe Ihnen nur Unglück.«
Er schob die Papiere zusammen und steckte sie in die
Umschläge zurück, die er in seinem blauen Rucksack
verstaute. »Ich habe einen Platz, wo ich schlafen kann. Ich bin
dort in Sicherheit«, sagte er. »Ich rufe Sie morgen an.
Bitte denken Sie nicht, ich sei paranoid.«
»Oh, nein«, versicherte ich. Paranoid war nicht
das richtige Wort.
»Aber ich würde sehr gerne Ihre Meinung
hören.« Er war wie ein scheues Reh, das sich um ein
neugeborenes Kitz sorgt. »Sind die Papiere echt? Banning ist
nicht verrückt?«
»Es sieht viel versprechend aus«, erwiderte ich.
»Ich werde demnächst nach Manhattan fahren und mir dort
ein altes Gebäude ansehen«, erklärte Cousins. »Es
war in den Fünfzigerjahren möglicherweise Golochows
Hauptlabor. Ich suche nach Beweisen und nach Proben, die ich
analysieren kann. Wollen Sie mitkommen?«
Das war ein Schock für mich. Ich hatte gelernt, den
Schreibtisch der freien Wildbahn vorzuziehen. Ich erwiderte, ich
würde darüber nachdenken.
»Noch etwas, das ich Sie fragen wollte«, sagte er.
»Haben Sie einen Videorecorder?«
»Ja. Janie – meine Frau – liebte Filme.«
»Sehen heißt glauben, richtig?« Er griff in seinen
Rucksack und reichte mir eine Videokassette. »Aus
Russland«, sagte er. »Aus Irkutsk. Wir können morgen
darüber reden.«
•
Nachdem Cousins gegangen war, ignorierte ich meine Müdigkeit
und schob die Kassette in das Videogerät. Das Band sprang sehr
stark. Ich bezweifelte, dass dies das Original war. Die Russen
benutzen das SECAM-Videosystem, die Amerikaner das NTSC-System.
Mit meinem eingerosteten Russisch übersetzte ich die
weißen kyrillischen Buchstaben, die über den Bildschirm
flimmerten:
Universität von Irkutsk
Neue studentische Ermittlungen zur Wahrheit und Gerechtigkeit,
Anthologie Nummer 5, Filme des Geheimen Lagers für Politische
Schulung,
1935-1950.
Es war ein Uhr nachts, als die körnigen alten Filme über
den Bildschirm flimmerten und das Wohnzimmer mit Gespenstern
füllten.
Eine Frau in einem langen schwarzen Kleid stand lächelnd am
Bug einer Yacht. Über dem See hinter ihr lag Nebel. Die
Golochowa? Sie winkte dem Kameramann mit einem melancholischen
Lächeln zu, wandte sich dann nach links und blickte mit
zusammengekniffenen Augen in die Sonne.
Als Nächstes folgte eine Hochzeit in einer Art
Fabrikschuppen, um den herum Hunderte von Männern in Uniform
versammelt waren. Mr. Golochow (wie ich annahm) und seine Braut
standen unter gekreuzten Gewehren mit aufgepflanzten Bajonetten. Ein
kleiner, elegant gekleideter Mann prostete ihnen mit einem Laborglas
zu, aus dem er Champagner trank. Ein rascher Schwenk auf Stalin, der
sich mit starrem Lächeln hierhin und dorthin wandte, als suche
er nach einer Fluchtmöglichkeit aus der fröhlichen
Menge.
Die Haut in meinem Nacken begann zu kribbeln.
Ein schlanker, gut aussehender Mann mit aristokratischen
Zügen, einer kurzen, scharf geschnittenen Nase und dünnem,
aber sehr schwarzem Haar stand über eine Badewanne gebeugt und
lächelte scheu in die Kamera. Ein plötzlicher Schnitt auf
einen ausgemergelten, nackten kleinen Mann, der in einer winzigen
Zelle im Kreis herumlief, dann mit schlenkerndem Geschlecht auf und
nieder hüpfte, wild mit den Händen fuchtelte und von einem
Ohr bis zum anderen grinste. Der Mann mit dem aristokratischen
Gesicht beobachtete ihn, erteilte dem nackten Mann Anweisungen und
trug mit dem ernsten, unbeholfenen Ausdruck, den die Leute in den
Dreißigerjahren aufsetzten, wenn sie wussten, dass sie gefilmt
wurden, Notizen in ein kleines schwarzes Buch ein.
Der Film
Weitere Kostenlose Bücher