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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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war nicht gut erhalten. Er hatte Kratzer und Flecken und
unter dem Rauschen der leeren Tonspur konnte man sich unschwer das
gequälte Flüstern längst Gestorbener vorstellen.
    Ich sah der Golochowa und ihrem Ehemann zu, wie sie sich beim
Spiel entspannten oder in harte, konzentrierte Arbeit versenkten, wie
sie sich in Details architektonischer Skizzen vertieften und den
Aufbau ihres Imperiums in der tödlichen, hoffnungslosen Welt der
Sowjetunion der Vorkriegszeit vorbereiteten. Dann tauchten
plötzlich keine Aufnahmen mehr von der Golochowa auf. Nur noch
von Maxim, der jetzt älter und ernsthafter aussah. Er
beaufsichtigte Arbeiter beim Bau eines Backsteinhauses, stand neben
einer dampfenden heißen Quelle, nahm einige mit einer milchigen
Flüssigkeit gefüllte Becken in Augenschein, in denen
hohläugige Frauen in undefinierbaren Uniformen mit langen
Paddeln rührten. Golochows Kleidung änderte sich kaum im
Laufe der Jahre, aber seine Augen wurden ausdrucksloser, die Linien
in seinem Gesicht tiefer.
    Lange Reihen von ausgemergelten Gefangenen in zerschlissener
Straßenkleidung, von denen manche Taschen mit ihren irdischen
Habseligkeiten bei sich trugen, standen auf einem
Bahnhofsgelände und wurden von mürrischen Wachen im
Zeitraffertempo durchsucht.
    Plötzlicher Schnitt auf Berge von Köpfen, die in
großen Blechwannen vor einem Laborgebäude aus Brettern
schwammen – offene Münder, heraushängende Zungen, die
Haare verfilzt von getrocknetem Blut, Köpfe, die darauf
warteten, dass man sie weiterverarbeitete.
    Das war noch nicht einmal das Schlimmste.
    Die nächste Titeleinblendung lautete:
    STADT DER HUNDEMÜTTER 1938-1939
    Ich konnte den Blick nicht abwenden. Ich sah Dutzenden von
Männern dabei zu, wie sie mit gespitzten Lippen und
geblähten Wangen muntere, jedoch nicht hörbare Lieder
pfiffen und eine Straße hinuntermarschierten. Ihre methodisch
arbeitenden Scharfrichter gingen wie Marionetten neben ihnen her und
hielten am Ende der steifen, ausgestreckten Arme Pistolen umklammert.
Bei jedem gezielten Schuss ruckten die Arme hoch.
    Ich sah, wie halb verhungerte Frauen fette, sich windende
Hündchen an ihre welken Brüste drückten und in die
Kamera lächelten.
    Die letzten paar Sekunden des Films zeigten Lawrenti Berija, wie
er auf den gepflasterten Straßen der Stadt auf und ab
stolzierte. Er winkte zu den leblosen Häusern empor, grinste
selbstgefällig in die Kamera, stieß mit dem Stiefel gegen
den kopflosen Leichnam einer Frau, hob die Hand und spreizte
triumphierend den Daumen nach oben.
    Ein glücklicher Mann.
    Als ich den Videorecorder ausschaltete, fragte ich mich, was wohl
aus den Kameraleuten geworden war. Wie lange hatten diese
grauenvollen Bilder wie eiternde, giftige Stacheln in ihren
Köpfen gesteckt? Ich schwor mir, nie wieder ein Buch über
Geschichte zu lesen.
    In Janies neuen Afghanmantel gehüllt, schlief ich auf der
Couch ein.
    •
    Und wachte weniger als zwei Stunden später wieder auf. Rollte
von der Couch und machte ein Geräusch, wie ich es seit mehr als
sechzig Jahren nicht mehr aus meinem Mund hatte kommen hören: Es
war das verängstigte Wimmern eines Kindes. Ich hielt es nicht
mehr aus, zur Spezies Mensch zu gehören, hielt es in der eigenen
Haut nicht mehr aus. Ich stöhnte, als ich pinkelte und meinen
Penis in der Hand hielt, und dachte daran, dass diese
Fortpflanzungsorgane Kinder gezeugt hatten, die sich gar nicht so
sehr von den Gespenstern in den alten Filmen unterschieden. Wieder
und wieder wusch ich mir Hände und Gesicht, danach duschte ich.
Das heiße Wasser half mir ein paar Minuten, lullte mich ein,
doch als ich mich, auf der dünnen, zerschlissenen
Badezimmermatte stehend, abtrocknete, kehrte das beklemmende
Gefühl wie eine dunkle Wolke zurück.
    Das Handtuch um die Hüften geschlungen, lief ich mit
mechanischen Schritten und gesträubten Haaren wie eine
angejahrte Harlekinpuppe durchs Haus. Ich konnte die Bilder nicht
loswerden und verfluchte Rob Cousins.
    Dann fragte ich mich, ob dies alles nicht nur eine gigantische,
hervorragend gemachte Fälschung war. Zusammengebastelt aus alten
Akten, retuschierten Kopien, gefälschten Urkunden. Sicher –
so musste es sein. Wirklich?
    Jedenfalls war das sehr viel leichter zu akzeptieren als eine
Welt, die von Ungeheuern gelenkt wird.
    Rob Cousins hatte dem alten, leichtgläubigen Ben Bridger
einen Bären aufgebunden, ihm ein Märchen über das
neueste verrückte Projekt von Rudy Banning aufgetischt, das
garantiert

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