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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Hälfte in uns – und diese Leute besitzen
die andere Hälfte.«
    »Genau.«
    »Aber warum blieb er in Irkutsk? Warum ist er nicht nach
Moskau gegangen?«
    »Irkutsk lag abseits. Es war sein Zuhause. Und außerdem
lag Irkutsk an der Bahnstrecke nach Sibirien«, erklärte
Cousins. »Berija versorgte das Laboratorium mit Zugladungen von
politischen Gefangenen. Golochow suchte sich die heraus, die
psychisch krank waren, nahm Blut- und Lymphproben, Proben der
Magenflüssigkeit, des Speisebreis und so weiter und so fort.
Nach ihrer Erschießung zerkleinerte er ihre Gehirne. Aus all
diesen Proben isolierte er Peptide, Enzyme und andere Verbindungen,
von denen er vermutete, sie könnten das menschliche Verhalten
verändern, und fütterte sie an seine zum Umkehrungsprozess
befähigten Bakterien. Dadurch wurden die Bakterien programmiert,
eine Reihe verschiedener psychotischer Zustände
hervorzurufen.«
    •
    Um halb zwölf hatten wir uns, nachdem ich zweimal in der
Küche gewesen war, um Kaffee zu machen, und dabei nicht ein
einziges Mal an Janie gedacht hatte, in der sowjetischen Geschichte
bis zu Lydia Timaschuk und dem angeblichen Komplott jüdischer
Ärzte im Jahr 1952 vorgearbeitet, dem die prompte
»Ausweisung« von zwei Millionen Juden nach Sibirien folgte.
Im Jahr darauf war Stalin gestorben – oder ermordet worden, wie
manche munkelten. Ich war mehr als fasziniert und wir hatten noch
nicht einmal das Ende von 1953 erreicht.
    Es war die verrückteste Sache, von der ich je gehört
hatte, seit ich mich mit Geschichte beschäftige. Die
Dokumentation war hervorragend: Kopie um Kopie von staatlichen
Dokumenten, handschriftlichen Notizen und Briefen. So wie es aussah,
musste die altehrwürdige Universität von Irkutsk einen
ziemlichen Aderlass erlebt haben.
    Es war der pure Albtraum.
    »Kein Wunder, dass Banning den Verstand verloren hat«,
bemerkte ich. »Mir wird schon übel, wenn ich nur daran
denke.«
    »Es kommt noch viel schlimmer«, sagte Cousins.
»Ende der Dreißigerjahre hatte Golochow Zentren in Moskau,
Paris und London aufgebaut. Es gelang ihm sogar, die Zerschlagung der
Genforschung in Russland durch Lysenko zu überstehen.
Wahrscheinlich stand er unter dem Schutz von Berija. Ich vermute, er
wusste, wo er Erfolg haben durfte und wann er besser den Mund hielt.
Es ist denkbar, dass er bereits 1950 geheime Forschungen in den
Vereinigten Staaten durchführte. Es gibt fünf Städte
in den USA, in denen er möglicherweise Niederlassungen
beziehungsweise Operationsbasen gründete. Ich war in einer, die
in den Hügeln östlich von Livermore liegt. Rudy glaubt,
dass Golochow 1953 in Manhattan unter dem Deckmantel einer
internationalen Organisation ein Labor einrichtete, das angeblich
Impfstoffe gegen Kinderlähmung, Malaria und Denguefieber
herstellte.«
    Ich war schon einmal am Denguefieber erkrankt, das wir
Sieben-Tage-Fieber nannten – 1970 in Laos. Ich wäre beinahe
daran gestorben und konnte mich an so gut wie nichts erinnern, das
während dieser Wochen passiert war. »Eine falsche
Fassade?«
    Cousins nickte. »Sie produzierten Manhattan-Kandidaten, eine Art Schläfer, überall in den USA.«
    »Großer Gott«, murmelte ich. Ich fühlte, wie
eine Gänsehaut über meine Arme kroch. »Und weil wir
alle die veränderten Bakterien in uns tragen… sind wir alle
potentielle Manhattan-Kandidaten?«
    Cousins nickte. »Ich vermute, dass in den Dreißiger-
und Vierzigerjahren etwa ein Drittel der Weltbevölkerung von
Silk programmiert werden konnte. Ihre Operationen waren damals noch
ziemlich lückenhaft. Gott sei Dank. Orwell hätte sonst 1984 vielleicht nie zu Ende geschrieben.«
    Ich atmete laut tief aus. »Warum nur ein Drittel?«,
fragte ich.
    »Weil wir alle ganz verschieden konstruierte Einzelexemplare
sind. Wir benutzen unsere Hormone, Enzyme, Peptide, Neurotransmitter
und all die anderen lebensnotwendigen chemischen Stoffe in unseren
Körpern und Gehirnen nicht auf völlig identische Weise. Das
behindert natürlich die Schaffung neuer Agenten. Aber ich bin
mir sicher, dass sie ihre Techniken inzwischen verbessert haben. Ich
schätze, dass sie gegenwärtig zu etwa achtzig bis neunzig
Prozent, vielleicht sogar zu hundert Prozent erfolgreich sind, vor
allem, wenn sie ihre Leute sorgfältig aussuchen. Und
natürlich hängt es auch von der Dosis ab, die sie verteilen
beziehungsweise an den Mann bringen können. Wenn sie eine
Operation starten, schicken sie drei oder vier handverlesene, mit den
nötigen Materialien

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