Jaegerin der Daemmerung
sie mehr und mehr von seinem Duft ein, wurde sie empfänglicher für ihn. Der Anblick seines anmutigen Muskelspiels unter der Haut tat sein Übriges.
Raja drehte den Kopf, warf Ivory einen fragenden Blick zu und fletschte die Zähne.
»Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, ersetzt zu werden, Kumpel«, sagte Razvan mit ruhiger Stimme. »Wir werden bestimmt miteinander klarkommen.«
»Biete ihm dein Blut an.«
Erstaunt sah Razvan Ivory in die Augen. »Du fütterst sie mit karpatianischem Blut?«
»Kann es sein, dass du dich nicht mehr so ganz an unser erstes Treffen erinnern kannst?«
»Stimmt.«
Ivory atmete tief durch, ehe sie ihm die Situation erklärte. »Vor langer Zeit, so lange, dass ich mich selbst kaum noch daran erinnern kann, ist mir ein Wolfsrudel zu Hilfe gekommen. Sie entdeckten Teile von mir und hätten mich auch gefressen, wenn es mir nicht gelungen wäre, ihren Geist zu berühren und sie darum zu bitten, meine Körperteile zu vergraben. Als ich zurückkehrte, fand ich ihre Nachkommen und half ihnen. In jenen Tagen hielt ich mich nicht oft über der Erde auf, da mein Körper dies nicht vertrug. Doch jedes Mal waren die Wölfe die Einzigen, die mich umsorgten. Sie waren meine einzige Gesellschaft, und ich vertraute ihnen.«
Ivory sprach mit leiser, sanfter Stimme, so als würde sie von jemand anderem und nicht von sich selbst erzählen. So als wäre nicht sie diejenige, die jahrelang unsägliche Qualen ertragen hatte. Während es ihm gelungen war, seine seelische Erschütterung zu verdrängen, schien ihr Trauma weitaus schlimmer zu sein.
Tief in Razvans Innerem erwachte etwas Angsterregendes und brüllte auf. Bereits vor Langem hatte er seine Aggressionen zu Grabe getragen. Zu viele Jahre der Gefangenschaft und Machtlosigkeit hatten seine Wut irgendwann vergehen und seine Gefühle verblassen lassen. Erst jetzt erinnerte er sich wieder an die Kraft und die Macht der Emotionen.
»Das war damals eine entsetzliche Zeit für mich. Als ich genesen war, machte ich mich, auch wenn ich es nur kurz über der Erde aushielt, auf die Suche nach meinen Brüdern. Ich war davon überzeugt, sie zu brauchen. Inzwischen weiß ich, dass mein Verstand und mein Körper nicht ganz auf der Höhe waren.« Obwohl sie den Kopf hängen ließ, sodass das dichte Haar ihr Gesicht und ihre Gefühle verdeckte, blieb ihre Stimme unverändert ruhig. »Es hat mich zweiundzwanzig Jahre gekostet, den ersten meiner Brüder aufzuspüren. Dabei hatte ich die eine oder andere Auseinandersetzung mit Vampiren, sodass ich unbeabsichtigt den Ruf einer Schlächterin erwarb. Dann fingen sie an, mich zu jagen. Um meinen Körper halbwegs zusammenzuhalten, musste ich die meiste Zeit unter der Erde verbringen.«
»Wenn es dir zu nahegeht, musst du mir das alles nicht erzählen«, sagte Razvan.
Ivory zuckte mit den Schultern, warf den Kopf in den Nacken und sah ruhig zu ihm hinüber.
»Das spielt keine Rolle mehr. Das Ganze ist lange her. Die nächsten fünfzig Jahre verbrachte ich damit, auch den Rest meiner Familie zu suchen, nur um herauszufinden, dass sie allesamt die Seiten gewechselt hatten. Ich fühlte mich von ihnen betrogen.«
Ivory spürte, wie es ihr den Hals zuschnürte. Sie hatte das Gefühl zu ersticken, fühlte sich erniedrigt. Erneut zuckte sie mit den Achseln. »Ich hatte die Wölfe, verstehst du, was ich meine? Sie waren mein Ein und Alles. Da ihre Lebensdauer normalerweise begrenzt ist, habe ich eine Generation nach der nächsten großgezogen. Sie waren meine Familie, ohne die ich nicht mehr leben konnte.«
Razvan verspürte den Wunsch, sie in die Arme zu schließen und sie zu trösten, doch als er auf sie zuging, wich sie zurück und verließ den Raum, als ob sie ihn nicht bemerkt hätte. Razvan schob die Wölfe beiseite und folgte ihr. Rajas Drohgebärden ignorierte er geflissentlich. Ivorys Geschichte faszinierte ihn. Ihm war nicht bekannt gewesen, dass Wölfe karpatianisches Blut vertrugen, und er bezweifelte, dass sonst noch jemand davon wusste.
»Also ist das Rudel, das jetzt immer bei dir ist, nicht das, das dich vergraben hatte, oder?«, sagte Razvan, während Ivory nach einem Kamm griff und sich damit durch das Haar fuhr. Sie tat das, um sich zu beruhigen, und nicht, weil ihr Haar es nötig hatte.
Ruhelos steuerte Ivory auf die Gedenkwand zu und fuhr mit leicht zitternder Hand Sergijs Gesichtszüge nach. »Nein. Eine Generation nach der anderen wurde geboren und starb. Doch alle verbrachten ihr Leben an meiner
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