Jaegerin der Daemmerung
während ich durch den Spalt schwebe. Ist das Gewicht zu leicht oder zu schwer, schließt sich der Spalt. Falls jemand versucht, in die Höhle einzudringen, während ich da bin, würde ich das Knirschen des Steins hören und könnte mich auf einen Angriff vorbereiten. Von unten her kann nichts und niemand den Fels durchdringen, dafür ist er zu dick. Noch nicht einmal die Würmer sind in der Lage, sich da durchzuschrauben. Als ich dich das erste Mal mitgenommen habe, musste ich die Steine schon einmal umprogrammieren, was recht schwierig war, so kurz vor Sonnenaufgang.
Wieso konnte ich die Höhle problemlos verlassen?
Das Ganze funktioniert nur in eine Richtung. Schließlich wollte ich nie Gefangene machen. Razvan merkte, dass sie leicht zögerte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich nie damit gerechnet, jemals jemanden hierher zu bringen .
Razvan entschied, dass es das Beste war, wenn er ihre Nervosität ignorierte. Er musste gar kein Interesse an ihrem Alarmsystem heucheln. Es war einzigartig und brillant, erinnerte ihn an ein antikes Spiegelsystem. Er wartete, bis sie in dem Spalt verschwand und weitere Edelsteine hinzugefügt hatte.
Jetzt kannst du nach Belieben kommen und gehen.
Ivory schwebte hinab, um dem stetig heller werdenden Himmel zu entkommen. Kaum war sie im Schlafzimmer gelandet, sprangen die Wölfe von ihr herunter und trotteten mit ihr in Richtung Bett.
»Mir geht es selbst unter der Erde nicht sonderlich gut, sobald die Sonne erst einmal aufgegangen ist.« Es war Ivory anzusehen, dass sie sich unbehaglich fühlte. »Ich habe zu viele Jahre im Schoß der Erde verbracht, um zu genesen.«
»Und ich in den Eiskatakomben«, sagte Razvan, während sie sich, umringt von den Wölfen, zum Schlafen niederlegte. Er wartete darauf, dass sie ihn zu sich einlud.
Ivory wies auf das große Bett. »Hier ist noch genügend Platz.«
Im Stillen beneidete Razvan die Wölfe darum, sich so eng an sie kuscheln zu dürfen, sagte aber nichts, da er wusste, dass sie mehr als großzügig zu ihm war. Er schloss die Augen, ließ den Atem aus seinem Körper entweichen, verlangsamte seinen Herzschlag und stoppte ihn dann gänzlich, als die Erde sich wie eine lebendige Decke über ihn breitete. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich komplett entspannt und unendlich glücklich.
7
A ls Ivory erwachte, wusste sie, dass drei Tage und zwei Nächte vergangen waren und dass die Sonne bereits untergegangen war. Im Laufe der Jahre hatte sie ein untrügliches Zeitgefühl entwickelt. Der Umstand, dass Razvan zur exakt selben Zeit aufwachte, versetzte ihr einen kleinen Schock. Dass die Wölfe sich zur selben Zeit regten wie sie, daran war sie gewöhnt. Insgeheim hatte sie gehofft, allein auf die Jagd gehen zu können, um sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass sie ihre Höhle nun nicht mehr alleine bewohnte.
Aus den Augenwinkeln musterte Ivory Razvans Gesicht - die Furchen, die Fältchen und die verständnisvollen und mitfühlenden Augen. Obwohl sein Leben bislang fast ausschließlich aus Schmerzen und Qual bestanden hatte, schien er sich dennoch einen freundlichen Kern bewahrt zu haben, den sie jedes Mal spürte, wenn sie seinen Geist berührte. Warum zitterten dann ihre Hände? Und warum war ihr, als würden unzählige Schmetterlinge ihr Unwesen in ihrem Körper treiben und wild mit den Flügeln schlagen, sobald sie ihn auch nur ansah? Sosehr sie auf dem Schlachtfeld auf ihre Fähigkeiten vertraute, so wenig wusste sie, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte.
Als sich Ivorys und Razvans Blicke trafen, nahm sein Gesicht deutlich weichere Züge an, und ein Lächeln stieg in ihm auf. Ivorys Herz machte daraufhin einen Satz. Wenn er lächelte, sah er gleich um Jahre jünger aus.
»Guten Abend. Neben dir aufzuwachen ist ein Geschenk, so hübsch, wie du bist«, ertönte sanft seine Stimme.
Ivory wusste, dass Letzteres nicht stimmte, denn sie befand sich noch in ihrer Patchwork-Gestalt. Nachdem ihr Körper zerstückelt worden war, hatten nicht alle Teile wieder ganz richtig zusammenwachsen können. Als sie sich eine der schlimmsten Narben rieb - jene, die quer über ihr Schlüsselbein verlief -, war sie zutiefst erstaunt. Der Heiler hatte mehr getan, als nur ihre Wunden zu heilen. Er hatte auch ihre Narben geglättet. Sie wusste, dass sie nie ganz verschwinden würden, aber er hatte sie zu flachen, dünnen Linien verblassen lassen.
»Ich bin nicht hübsch, und das weißt du.« Ivory spürte, wie ihr die Farbe in
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