Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
Zuhause, einen Daseinsgrund und eine Familie gegeben. Nur die wenigsten Menschen sind durch und durch schlecht oder durch und durch gut, Lily. Die meisten Menschen haben von beidem etwas.«
Sie nickte. »Das weiß ich, Ryland, aber es ist trotzdem schmerzhaft. In dieses entsetzliche Zimmer zu gehen und zuzulassen, dass die Erinnerungen zurückkehren … Diese Bänder anzusehen und seine Stimme zu hören. Damals habe ich ihm nicht das Geringste bedeutet. Man kann ihm die Ungeduld anhören, wenn ich seinen Ansprüchen nicht genügte. Rosa, die damals als Pflegerin angestellt war, ist auf den Bändern noch viel jünger und sieht ganz anders aus. Sie versucht, mich zu trösten, und er schreit sie ständig an.« Sie presste sich eine Hand auf die Schläfe und weigerte sich weiterhin, ihn anzusehen.
»Lily, weshalb solltest du dir das antun?«
»Ich brauche die Informationen für uns alle. Für deine Männer und für diese Mädchen. Wenn das hier ausgestanden ist, werde ich jede dieser Frauen finden, selbst wenn
ich mein ganzes Leben dafür brauche, und ich werde mich vergewissern, dass jede Einzelne von ihnen mit sich selbst zurechtkommt.«
»Du musst dir diese Bänder nicht allein ansehen.« Er schloss seine Finger fester um ihre. »Wir sind Partner in jeder Bedeutung des Wortes. Ich weiß, dass du deinen Vater geliebt hast, und dafür brauchst du keine Vergebung, Lily. Der Mann hat dich geliebt und sein Bestes getan, um dir ein Zuhause, eine Familie und die bestmögliche Ausbildung zu geben. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss.«
»Beschämend wird es dadurch, dass du es siehst«, beharrte Lily. »Er sieht mich an, als sei ich ein Versuchsobjekt. Ich will nicht, dass du mich so siehst. Ich kann nicht zulassen, dass du mich so siehst.« Sie fand nicht die richtigen Worte, um ihm zu sagen, dass es sie herabwürdigte. Es degradierte sie zu diesem verängstigten, ungeliebten Kind in einem Haus voller Fremder. Ryland würde sie so sehen. Der Gedanke war ihr unerträglich.
»Ich liebe dich, Lily.« Er nahm ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu sich empor. »Und ich werde auch dieses kleine Mädchen lieben, weil es in dir ist.«
Lily zog ihren Kopf weg. »Tu es nicht, Ryland. Du kannst dir dessen nicht sicher sein. Du weißt nicht, was du für mich empfinden wirst, wenn du dir diese Aufnahmen ansiehst. «
Er wollte Einwände erheben, doch er hielt sich sofort zurück, als er sah, dass ihre Hand zitterte. Er litt mit ihr und fühlte ihren inneren Aufruhr. Schmerz überflutete ihn, überflutete sie. »Wenn ich so oberflächlich bin, Lily, dass ich nicht mehr dasselbe für dich empfinden werde, weil du als Kind gewissermaßen misshandelt worden bist,
dann sollest du das auf der Stelle herausfinden. Schätzt du mich wirklich so ein?«
Sie schloss einen Moment lang die Augen. »Nein, Ryland. Es ist nur ohnehin schon schwer genug für mich, dazusitzen und mir das anzusehen. Zu wissen, dass es tatsächlich die Wahrheit ist. Er hat mich nie darauf vorbereitet. Ich hatte keine Ahnung.«
»Vergiss nie, dass dein Vater dich mit der Zeit lieben gelernt hat. Du hast ihm etwas gegeben, was man für alles Geld auf Erden nicht kaufen kann.«
»Geht es nicht genau darum, Ryland?« Zum ersten Mal klang ihre Stimme bitter. »Er hat uns gekauft, und als alles schiefging, hat er sein Geld dafür benutzt, sich aus der Affäre zu ziehen.«
»Zu dem Zeitpunkt, Lily, wusste er noch nicht, dass es auch andere Möglichkeiten gibt.« Er schlang seinen Arm um sie und zog sie schützend an seine Schulter. »Lass uns die Bänder gemeinsam ansehen. Es wird nicht ganz so schwierig sein, wenn wir zusammen sind.«
Ihre Haltung blieb steif, und sie blieb auf Distanz.
»Ich bin ein Teil von dir. Ob es dir gefällt oder nicht, ich bin ein Teil von dir. Ich fühle, was du fühlst. So ist es, Lily, und es wird immer so sein, ob wir voneinander getrennt sind oder nicht. Nimm mich mit.«
Jetzt sah Lily ihn an. Ihre blauen Augen glitten über sein Gesicht und musterten ihn eingehend. Offenbar suchte sie etwas in seinen Gesichtszügen. Er sandte ein stummes Gebet gen Himmel und hoffte, sie würde es finden. »Letzte Nacht hast du dich mir vollständig anvertraut, Lily. Tu es jetzt wieder. Du musst einfach nur an mich glauben.«
»Hier geht es nicht nur um mich.« Sie flüsterte es ihm zu, denn sie wollte, dass er es verstand. Sie wollte, dass ihm
klar wurde, was er von ihr verlangte. Da waren auch noch all diese anderen kleinen Mädchen. Sie war
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