Jägerin der Nacht - Der Anfang (Ein Patricia Vanhelsing Roman) (German Edition)
hatten er und Clarissa ein Verhältnis. Nur kurze Zeit nach Zacharys Tod heirateten die beiden. Der Mordvorwurf, den Scotland Yard erhob, ließ sich nicht beweisen. Es kam zwar zum Prozeß, aber sowohl Clarissa als auch George wurden freigesprochen. Allerdings starben sie kurze Zeit später unter mysteriösen Umständen. Zeugen wollten gesehen haben, wie sie von einem Leichenwagen überfahren wurden..."
Tante Lizzy zeigte mir die Ausschnitte. Ich überflog den Text.
"Interessant", murmelte ich. "Harold Carrington war damals ein junger Strafverteidiger..."
"Die Kanzlei seines Vaters war sehr renommiert", stellte Tante Lizzy fest. "Sie wurde mit der Verteidigung von George Bascomb beauftragt. Clarissa mußte sich einen anderen Anwalt nehmen, da ja ein Interessenkonflikt möglich war..."
"Philip Nolan", las ich.
"Ich weiß es nicht mehr auswendig", gestand Tante Lizzy.
"Aber über die Bascomb-Geschichte hinaus habe ich noch etwas anderes. Allerdings muß ich, was das betrifft noch einige Nachforschungen anstellen..."
"Wovon sprichst du?"
Tante Lizzy ging auf die andere Seite der Bibliothek. Ihr Blick glitt suchend über die langen Reihen der dicken Lederfolianten, um dann zielsicher eine dünne, geradezu unscheinbare Broschüre herauszuziehen.
Ich trat zu Tante Lizzy hin und blickte ihr über die Schulter.
Der Titel der Broschüre lautete: Geister der Rache -
Spekulationen über einige mysteriöse Todesfälle Als Verfasser war ein gewisser A.M. angegeben.
"Der Autor - bei dem es sich vermutlich um einen relativ bekannten Okkultisten namens Alexander Milton handelt -
befaßt sich kaum verschlüsselt mit dem Tod von George und Clarissa Bascomb. Milton bezieht sich unter anderem auf Hermann von Schlichtens Buch Absonderliche Kulte und glaubt nachweisen zu können, daß Clarissa und George durch das Wirken eines Rachegeistes gestorben sind..."
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Tante Lizzy legte die Broschüre zur Seite und ging an den Apparat, ein altertümliches Ding mit Gabel und Wählscheibe.
Es handelte sich inzwischen beinahe um ein Museumsstück.
Wenig später reichte sie mir den Hörer entgegen.
"Für dich, mein Kind", sagte sie.
Ein stilles Lächeln stand auf ihrem Gesicht. Ich nahm den Hörer.
"Hier Patricia Vanhelsing", meldete ich mich.
"Es freut mich, daß du wieder auf den Beinen bist, Patricia", sagte eine vertraute, dunkle Stimme, deren Klang ein seltsames Kribbeln in meiner Bauchgegend auslöste.
"Tom!" entfuhr es mir.
"Wir sehen uns morgen", sagte er.
"Ich möchte wissen, was geschehen ist, Tom."
"Hat Mrs. Vanhelsing dir nicht..."
"Ich will wissen, was wirklich dort in diesem Abbruchhaus geschehen ist. Und zwar alles..."
Eine Pause folgte. Einen Augenblick dachte ich schon, daß am anderen Ende der Leitung niemand mehr war.
Doch dann meldete sich Tom wieder.
"Wir reden morgen", sagte er. "Ich werde dich abholen.
Schließlich steht dein Wagen noch hier bei mir... Und ich denke nicht, daß du es vorziehst, mit dem Taxi zum Verlagsgebäude zu fahren!"
Ich atmete tief durch.
"Gute Nacht", flüsterte ich.
"Gute Nacht."
*
Am nächsten Tag regnete es Bindfäden. Ich stieg zu Tom in den Wagen. Er begrüßte mich mit einem charmanten Lächeln. Er fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein.
"Ich werde dich in die Ladbroke Grove Road fahren", erklärte er. "Dort steht dein rotes Mercedes-Schätzchen. Ich denke, du wirst noch pünktlich in die Redaktion gelangen."
"Und du?" fragte ich.
"Ich habe mich krank gemeldet."
"Was hast du vor?"
Er antwortete mir nicht. Ich beobachtete seine große, kräftige Hand, die die Gangschaltung betätigte. Sein Gesicht wirkte angestrengt.
Er sah aus, als hätte er nicht viel geschlafen.
"Nach dem, was gestern geschehen ist, wirst du dir sicher einige Fragen stellen, Patricia...", begann er dann.
"Nicht erst seit gestern abend!" erwiderte ich - nicht ohne eine gewisse Portion Ärger im Tonfall. Ich sah ihn an, versuchte in seinem Gesicht irgend einen Hinweis zu finden.
Aber diese ebenmäßigen Züge blieben für mich rätselhaft wie eine Sphinx.
"Du kannst mir vertrauen, Tom", sagte ich.
Er zuckte die Achseln, während wir eine Ampel erreichten, die auf rot stand. Der Regen pladderte heftig gegen die Frontscheibe. Die Wischblätter der Scheibenwischer konnten kaum für ausreichende Sicht sorgen. Ein grauer Tag mit einem Wetter, daß einen deprimieren mußte.
"Es hat nicht unbedingt damit zu tun, daß ich dir nicht vertraue,
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