Jägerin des Herzens
wiederholte es dann mit einem dünnen Stimmchen.
»Ja, ja …« Heftig schluchzend streckte Lily die Hände aus und nahm das Kind in die Arme. »Oh, Nicole … ich habe dich wieder, es ist so schön …« Sie drückte ihr Gesicht in die schwarzen Haare und streichelte den Rücken des Kindes. Nicole erwiderte ihre Umarmung nicht. Mit einer Stimme, die Lily selbst ganz fremd war, sagte sie:
»Jetzt ist es vorbei. Es ist endlich vorbei.« Sie blickte in die braunen Augen, die ihren so ähnlich waren. Zaghaft berührte Nicole Lilys Wange, dann glitt ihre kleine Hand zur Stirn und zu den dunklen Locken, die sich an den Schläfen ringelten.
Lily versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, während sie das schmutzverschmierte Gesicht ihrer Tochter mit Küssen übersäte. Der Alptraum war vorüber. Das Eis um ihr Herz war geschmolzen. Lily hatte noch nie solchen Frieden empfunden. Sie hatte gar nicht mehr gewusst wie es sich anfühlte, frei von Kummer und Bitterkeit zu sein.
Alles, was sie jemals gewollt hatte, war hier – der warme Körper ihrer Tochter, die reine, vollkommene Liebe, die es nur zwischen Mutter und Kind gab. Einen Moment lang gab es nur sie beide auf der Welt.
Alex beobachtete sie, und die Kehle wurde ihm eng. Er hatte Lily noch nie so zärtlich, so mütterlich gesehen.
Diese Seite kannte er nicht und er hatte sie sich auch nie vorstellen können. Er hatte nie gedacht dass das Glück eines anderen Menschen ihm viel mehr bedeuten würde als sein eigenes. Verlegen wandte er sich ab, um seine Rührung zu verbergen.
Nathan stand neben ihm und betrachtete die Szene voller Befriedigung. »Alex«, sagte er in geschäftsmäßigem Tonfall, »dies scheint mir eine gute Gelegenheit Lord Fitzwilliams jüngsten Verbrechenserlass zu erwähnen, in dem er die Eröffnung von drei neuen Büros in der Stadt vorschlägt die ich dringend brauche …«
»Alles, was du willst«, sagte Alex rau.
»Der Antrag stößt auf großen Widerstand im Parlament …«
»Schon genehmigt«, gelobte Alex. Er wischte sich mit dem Ärmel über die feuchten Augen und fuhr heiser fort:
»Ich schwöre dir, du bekommst deine Büros, und wenn ich jeden Arm im Parlament selber hochzerren müsste.«
Kapitel 14
Alex blickte überrascht von der Zeitung auf, als Burton die Ankunft von Mr. Craven ankündigte. Sie hatten bis jetzt einen angenehmen Morgen verbracht. Alex hatte die Times gelesen und sich hin und wieder zu Lily und Nicole gesellt die auf dem Fußboden im Salon Holzklötzchen zu wackeligen Türmen aufbauten.
»Oh, führ ihn hinein«, sagte Lily zu Burton und warf Alex ein entschuldigendes Lächeln zu. »Ich vergaß zu erwähnen, dass Derek uns heute früh besuchen möchte. Er wollte, dass wir zuerst ein paar Tage mit Nicole allein sind, bevor er kommt, um sie zu sehen.«
Alex runzelte leicht die Stirn und erhob sich vom Sofa, während Nicole sich daranmachte, den Kater Tom durchs Zimmer zu jagen. Immer wenn sich das arme Tier auf ein sonnenbeschienenes Plätzchen legte, wurde Nicole magisch von seinem zuckenden Schwanz angezogen. Lily sammelte ein paar Spielzeuge auf, die am Boden verstreut lagen. Lächelnd dachte sie, dass Alex viel zu viel Spielzeug gekauft hatte. Der Anblick des jämmerlichen Lumpenbündels, das Nicole als Puppe diente, war zu viel für ihn gewesen, und er hatte nicht geruht bis er jede verfügbare Puppe im Spielzeugladen der Burlington Arcade gekauft hatte … Puppen mit echtem Haar und Porzellanzähnen, Puppen aus Wachs und Porzellan mit Unmengen an Kleidern und Ausstattung. Das Kinderzimmer war vollgestopft mit Spielzeugtheatern, einem Schaukelpferd, einem großen Puppenhaus, Bällen, Spieluhren und zu Lilys Entsetzen mit einer bemalten Trommel, die man im ganzen Haus hörte.
Es dauerte nicht lange, bis sie entdeckten, dass Nicole am liebsten Verstecken spielte. Sie verschwand ganz plötzlich und freute sich diebisch über ihre besorgten Gesichter, wenn sie sie dann unter einem Sofa oder einem Tisch wiederfanden. Lily kannte kein Kind, das sich so lautlos bewegen konnte. Manchmal saß Alex an seinem Schreibtisch in der Bibliothek und arbeitete eine Stunde lang, wobei er dann irgendwann entdeckte, dass sie leise unter seinen Stuhl gekrabbelt war.
Nach und nach verlor Lily die Angst, Nicole könne in Giuseppes Obhut missbraucht worden sein. Sie war zwar ein vorsichtiges Kind, aber sie war nicht ängstlich, und sie hatte ein sonniges Wesen. Mit jedem Tag, der verging, redete sie mehr, und bald
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