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Jägerin des Herzens

Jägerin des Herzens

Titel: Jägerin des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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absichtlich die langweiligsten Stellen aussuchte. Seine tiefe Stimme, das Ticken der Uhr und der Wein, den sie zum Abendessen getrunken hatte, machten ihre Lider schwer. Sie kuschelte sich in die Brokatkissen des Sofas und schlummerte ein.
    Es mochten Minuten oder Stunden vergangen sein, als sie plötzlich Alex’ Stimme an ihrem Ohr hörte. Sanft rüttelte er sie wach. »Lily, Liebling, mach die Augen auf.«
    »Hmm?« Sie rieb sich die Augen und murmelte schläfrig: »Alex, was …«
    »Nachricht von Nathan«, sagte er, ergriff ihre Schuhe, die auf dem Boden standen, und zog sie ihr an. »Die Männer, die Nathan auf Knox angesetzt hat sind ihm nach St. Giles gefolgt. Nathan und ein Dutzend Beamte haben ihn in einem Keller gestellt. Wir müssen sofort dorthin.«
    »St. Giles« wiederholte sie und war mit einem Schlag hellwach. Das war die gefährlichste Gegend in ganz London, ein Elendsviertel voller Schlupflöcher für Verbrecher, das im Volksmund ›Heiliges Land‹ genannt wurde. Selbst Polizeibeamte wagten sich nicht in die Gassen hinein. Sie wussten, dass das Gebiet fest in Verbrecherhand war und dass dort jeder in dem Gewirr von Hinterhöfen, engen Gassen und gewundenen Straßen entkommen konnte. »Sagt er in der Nachricht etwas über Nicole? Über irgendwelche Kinder …«
    »Nein.« Alex legte ihr einen dunklen Umhang über die Schultern und führte sie zu der wartenden Kutsche, bevor sie Zeit hatte, noch weitere Fragen zu stellen. Lily warf einen Blick auf die sechs bewaffneten Reiter und stellte fest, dass Alex sehr um ihre Sicherheit besorgt war.
    Die Kutsche rumpelte durch die Straßen. Zwei der Wachen ritten vorneweg und scheuchten Fußgänger und langsame Gefährte aus dem Weg. Lily presste die Hände fest zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben, aber das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Straßen, durch die sie fuhren, wurden immer älter und schmutziger, und die Häuser standen so eng beieinander, dass kein Licht auf das Pflaster drang. Die Leute, die sie sah, waren zerlumpt und geisterhaft weiß. Sogar die Kinder. Der Gestank aus Tausenden nicht abgedeckten Nachttöpfen drang in die Kutsche, und Lily rümpfte angeekelt die Nase. Bei einem Blick aus dem Fenster sah sie den spiralförmigen Turm von St. Giles in the Fields, eine Kirche, die im Mittelalter die Kapelle eines Aussätzigenspitals gewesen war.
    Die Kutsche blieb vor einem alten verfallenen Wirtshaus stehen. Alex stieg aus und befahl dem Kutscher und einer der Wachen, gut auf seine Frau aufzupassen. Wenn nötig, sollten sie beim ersten Anzeichen von Gefahr mit der Kutsche wegfahren.
    »Nein!«, rief Lily. Sie versuchte auszusteigen, aber Alex versperrte die Tür mit dem Arm. »Ich gehe mit dir zusammen hinein!« Wut und Erregung überwältigten sie. »Wag es nicht, mich hier draußen zu lassen!«
    »Lily«, sagte er ruhig und blickte sie eindringlich an. »Ich verspreche dir, dass du gleich hineinkommen darfst.
    Aber ich muss mich zuerst davon überzeugen, dass es auch sicher ist. Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben. Ich werde dein Leben um nichts auf der Welt aufs Spiel setzen.«
    »Hier wimmelt es von Beamten«, entgegnete sie hitzig. »Im Moment ist das wahrscheinlich der sicherste Ort in ganz London! Außerdem suchen wir nach meiner Tochter!«
    »Das weiß ich.« Er fluchte leise. »Verdammt Lily, ich weiß doch nicht was wir dort drinnen vorfinden. Ich möchte nicht dass du etwas siehst das dir wehtut.«
    Leise erwiderte sie: »Wir gehen zusammen hinein. Beschütz mich nicht Alex. Lass mich einfach nur bei dir sein.«
    Alex blickte sie an, dann schlang er den Arm um ihre Taille und hob sie aus der Kutsche. Als sie auf die Tür zugingen, ergriff sie seine Hand. Zwei Beamte warteten auf sie und grüßten Alex respektvoll. Sie warfen Lily einen Seitenblick zu, und einer von ihnen murmelte, es habe Tote bei der Erstürmung des Gebäudes gegeben. Es wäre vielleicht besser, wenn sie nicht hineinginge.
    »Es geht schon«, erwiderte Alex knapp und betrat als Erster das Haus. Drinnen stank es, und die Luft war stickig.
    Über ein paar zerborstene Stufen gelangten sie in einen schmalen, mit Abfall übersäten Flur. An den Wänden kroch Ungeziefer entlang. Der widerliche Gestank von verbranntem Hering drang aus einem der Zimmer, an denen sie vorbeikamen. Offensichtlich hatte jemand in dem schwärzlichen Kamin Fisch gebraten. Es gab kaum Möbel, abgesehen von ein paar rohen Tischen und Strohlagern auf dem Boden. Stroh steckte auch in

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