Jägerin des Herzens
nicht«, sagte sie mit schwankender Stimme.
»Ich weiß«, erwiderte er sanft. »Weil er dich an deine Kindheit erinnert. Wilhelmina ist verängstigt und will geliebt werden. Und Lily ist stark und mutig und schickt die ganze Welt zum Teufel, wenn es sein muss.«
»Welche ziehst du vor?«, flüsterte sie.
Er hob ihr Kinn und blickte ihr lächelnd in die Augen. »Beide. Ich liebe alles an dir.«
Lily erbebte über die Sicherheit in seiner Stimme, aber als er sich über sie beugte, um sie zu küssen, zuckte sie zusammen. Sie war noch nicht bereit für sinnliche Küsse oder Umarmungen … ihre inneren Wunden waren noch zu offen … sie brauchte Zeit damit sie heilen konnten. »Noch nicht«, flüsterte sie flehend, wobei sie Angst hatte, er würde wütend werden über ihre Weigerung. Stattdessen zog er sie fest an sich, und mit einem erschöpften Seufzer legte sie ihren Kopf an seine Schulter.
Es war zehn Uhr morgens. Im Londoner East End waren die Läden bereits seit acht Uhr geöffnet und die Straßen waren erfüllt vom Lärm und dem Gewimmel von Verkaufsständen, Karren, Fischhändlern und Milchmädchen, die ihr Tagwerk verrichteten. Hier im West End ging alles gemächlicher vor sich. Lily war an der Ecke des Hyde Park angelangt und betrachtete die Welt draußen durch das Kutschenfenster. Milchmädchen, Kaminkehrer, Zeitungsjungen und Bäckergehilfen klingelten an den Türen eleganter Häuser und wurden von den Dienstmädchen begrüßt. Kinder gingen mit ihren Kindermädchen spazieren, während ihre Eltern sich erst am frühen Nachmittag aus ihren Betten erheben würden. In der Ferne hörte man die Trommelwirbel und die Musik der Wache, die aus der Kaserne zum Hyde Park marschierte.
Lily kniff die Augen zusammen, als sie eine einsame Gestalt an einem Holzpfosten an der Straßenecke stehen sah.
Es war Alton Knox, der die traditionelle Uniform der Learman-Detektive trug – schwarze Breeches, Stiefel und eine graue Jacke mit glänzen den Messingknöpfen. Lily holte tief Luft, beugte sich aus dem Kutschenfenster und winkte ihm mit dem Taschentuch. »Mr. Knox«, sagte sie leise. »Hierher. Bitte kommt zur Kutsche.«
Mr. Knox gehorchte, wechselte ein paar freundliche Worte mit dem Lakaien und kletterte dann in das geschlossene Gefährt. Er nahm seinen Hut ab, fuhr sich durch die grau melierten Haare und murmelte eine Begrüßung. Er war ein stämmiger, mittelgroßer Mann mit einem glatten Gesicht, das jünger wirkte als seine vierzig Jahre.
Lily saß auf dem Sitz gegenüber und nickte ihm grüßend zu. »Mr. Knox, ich schätze Eure Bereitwilligkeit mich hier zu treffen anstatt in meinem Haus. Aus Gründen, die auf der Hand liegen, darf mein Ehemann, der Graf, nicht herausfinden, dass ich Euch engagiert habe. Er würde auf Erklärungen bestehen …« Sie brach ab und sah ihn hilflos an.
»Natürlich, Miss Lawson.« Mr. Knox schwieg und korrigierte sich mit einem schwachen Lächeln. »Ich sollte natürlich Lady Raiford sagen.«
»Meine Heirat war eine unerwartete Wendung der Ereignisse«, gab Lily verlegen zu. »Sie hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert … außer in einer. Ich bin immer noch entschlossen, meine Tochter Nicole zu finden.«
Sie hob eine Geldbörse und schüttelte sie leicht. »Glücklicherweise habe ich nun die Mittel, um mit meiner Suche fortzufahren. Ich hätte gerne, dass Ihr mir in dieser Angelegenheit erneut behilflich seid.«
Knox blickte auf die Börse und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Betrachtet mich als wieder ein gestellt Lady Raiford.« Er streckte die Hand aus, und sie reichte ihm die kleine, aber schwere Börse. »Und jetzt sagt mir, wie die Dinge mit Gavazzi stehen.«
»Ich habe die Gespräche mit Graf Gavazzi nicht abgebrochen, Mr. Knox. In der Tat hat er mir gestern Abend vollkommen neue Forderungen gestellt.«
»Gestern Abend?«, fragte Knox überrascht. »Neue Forderungen?«
»Ja.« Lily stieß einen Seufzer aus. »Wie Ihr wisst wollte Giuseppe früher immer nur Geld. Das konnte und wollte ich ihm geben, solange ich glaubte, dass es noch eine Hoffnung gäbe, mein Kind wiederzubekommen. Aber gestern Abend …« Sie brach ab und schüttelte mit einem Laut des Abscheus den Kopf.
»Was für Forderungen?«, fragte Knox. »Verzeiht mir meine Offenheit aber hat er Euch um Eure persönliche Gunst gebeten, Mylady?«
»Nein. Er machte mir zwar Avancen, die ich unerträglich fand, aber es war sogar noch schlimmer. Graf Gavazzi bedroht alles, was ich
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