Jagablut
müssten den Täter doch gesehen haben.«
»Gar nix hab ich gesehen«, sagte Kaml. »Wie ich angerannt gekommen bin,
lag’s schon da, die arme Frau Doktor.« Er tätschelte mir die Schulter. »Aber
jetzt lassen wir Sie erst einmal in Ruh. Das war sicher ein Hoteldieb, dieses
elende Gesindel. Gottlob, dass ich Sie hab schreien hören.« Hansi gab einen
überraschten Laut von sich, aber Kaml nahm keine Notiz von ihr. »Das hätt jedenfalls
bös ausgehen können.« Er stützte die Hände auf die Knie und stemmte sich
ächzend hoch. »So, und wer ruft jetzt die Polizei?«
Niemand rührte sich.
»Die Polizei?«, flüsterte Hansi. »Du willst … die Polizei rufen?«
»Was denn sonst?« Kamls Stimme klang herausfordernd. Er schob die Hände
in den Bund seiner ausgebeulten Trainingshose. An den Füßen trug er dicke
Skisocken. »Glaubst vielleicht, bloß weil der Vinzenz nicht da is’, dass man so
einen Vorfall einfach übergehen sollt’?« Er wippte vor und zurück. »Tot hätt ‘s
sein können, die arme Frau.« Er wandte sich an die Runde. »Vielleicht is’ ja
auch was gestohlen worden.«
Unter den Anwesenden erhob sich unruhiges Gemurmel, das vom alten
Wenghofer jäh unterbrochen wurde.
»Wir brauchen keine Polizei«, sagte er mit unerwartet fester Stimme. »Und
schon gar nicht um drei in der Früh.«
Es war also schon weit nach Mitternacht. Kein Wunder, dass ich so müde
war. Außerdem dröhnte mein Kopf.
»Vielleicht hat Herr Wenghofer recht«, sagte ich. »Warten wir doch bis
morgen, und dann …«
»Nix.« Kaml war offenbar entschlossen, sich durchzusetzen. »Ich ruf jetzt
die Polizei. Inzwischen überlegt jeder, ob ihm was Ungewöhnliches aufgefallen
ist. So verlieren wir keine Zeit. Wir treffen uns in der Halle – womöglich
ist der Täter noch im Haus.« Er zog den Bund der Trainingshose hoch und stapfte
auf Socken aus meinem Zimmer.
Hansi rührte sich als Erste. Sie beugte sich zu mir hinunter und fasste
meinen Ellenbogen mit festem Griff. »Kommen S’«, sagte sie. »Ich helf
Ihnen.«
Dankbar für die Zuwendung rappelte ich mich folgsam auf.
Inzwischen schienen sich auch die anderen Hausbewohner unter das
Oberkommando von Georg Kaml gefügt zu haben, denn alle zogen wie eine Karawane
die Treppe hinunter und versammelten sich in der Halle unter dem Auerhahn, um
auf das Eintreffen der Polizei zu warten. Hansi und ich stellten uns dazu. Von
irgendwoher war Kamls laute Telefonstimme zu hören.
»Ziemlich kalt«, sagte Frau Janssen und rieb sich die Oberarme. Sie trug
ein rosafarbenes Nachthemd mit dazu passendem Frotteebademantel und rosa
Plüschpantoffeln. Die anderen murmelten zustimmend. Herr Wenghofer band seinen
Morgenmantel fester zu. Nur ich trug als Einzige meine Tageskleidung. Obwohl
ich nichts dafür konnte, fühlte ich mich irgendwie verantwortlich.
Direkt mir gegenüber hing die wie im Flug an die Wand genagelte
Schleiereule. Ihr schwarz gesprenkeltes Gefieder glänzte, und ihre orange
glühenden Augen starrten mich an. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihr der
Präparator eine Maus in die linke Kralle gesteckt hatte.
Hansi hielt noch immer meinen Arm umfasst. Ein zarter Lavendelduft ging
von ihr aus. Plötzlich fand ich ihre Fürsorge überflüssig und löste meinen Arm
aus ihrem Klammergriff.
Draußen war Motorengeräusch zu hören, Autotüren schlugen. Zwei
Polizisten, der eine um die fünfzig, der andere Anfang zwanzig, betraten die
Eingangshalle. Der ältere der beiden hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht,
seine Uniformjacke zuzuknöpfen. Es war der Mann, der an meinem ersten Abend im
Jagawirt am Nebentisch gesessen hatte. Sein Kollege trug dagegen sogar Gel im
Haar. Beider Mienen ließen jedoch keinen Zweifel daran aufkommen, wie wenig sie
darüber erfreut waren, mitten in der Nacht gerufen worden zu sein.
»Also.« Der Ältere hatte eindeutig das Kommando. »Wo is’ die Frau Dr.
Canisius?«
Ich machte einen Schritt nach vorn.
Sein Blick glitt rasch über mich. »Und Sie sind also überfallen worden,
Fräulein?«
»Allerdings.« Unter anderen Umständen hätte ich ihm Paroli geboten, aber
angesichts der fortgeschrittenen Stunde bemühte ich mich nur um eine möglichst
sachliche Schilderung der Ereignisse, angefangen von den Geräuschen vor der Tür
bis zu meiner Rettung durch Georg Kaml. »Herr Kaml hat auch darauf bestanden,
die Polizei zu rufen.«
»Hat der Kaml Schorsch gesehen, wer’s war?«
»Ich glaube nicht …«
»Aha.« Er wandte sich an seinen
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