Jagablut
geben
Sie mir morgen Bescheid, wie’s Ihrem Mann geht.«
Auf einmal spürte ich ein Würgen im Hals. Keine Sekunde länger konnte ich
es in dem Dampf aushalten. Schnell stand ich auf, drückte meinem Patienten die
heiße Hand und verließ die Küche, wobei ich mich bemühte, nicht zu dem
Suppentopf hinzuschauen. Erst auf der Heimfahrt, wenige Kilometer vom Jagawirt
entfernt, verließ mich das Gefühl von Unwirklichkeit.
Hundefleisch hilft gegen Husten . Es war
später Nachmittag. Ich saß in dem Ohrensessel in meinem Zimmer und starrte die
Wand an. Draußen brach bereits die Dämmerung herein, aber ich hatte noch kein
Licht gemacht. Mehrmals hörte ich von unten die Eingangstür schlagen, laute
Stimmen und Gelächter in der Halle. Der Jagawirt schien heute ungewöhnlich viel
Besuch zu haben. Ich hatte noch den Geruch des Wohnzimmers der Rotters in der
Nase, das Gemisch aus schmutzigen Putztüchern, aufgewärmtem Essen und dem ungelüfteten
Bettzeug.
Ich kuschelte mich noch tiefer in meinen Ohrensessel. Worauf hatte ich
mich da bloß eingelassen? Landärztin! Ausgerechnet ich, die nur die sterilen
Arbeitsbedingungen im Krankenhaus kannte. Die perfekten Arbeitsabläufe und die
geteilte Verantwortung. Und jetzt? Jetzt sollte ich Menschen behandeln, die
mich zwar riefen, aber nur schwer zu überzeugen waren, meinen ärztlichen Rat
auch zu befolgen. Menschen, die eher die Schulmedizin als alternative
Heilmethode betrachteten. Ich dachte an die Privatordination meines Vaters an
der Wiener Ringstraße, seine parfümierten und gelifteten Patienten. Lauthals
hatte ich meinen Widerwillen gegen die Zweiklassenmedizin kundgetan. Und deswegen willst du in den Busch ?, hatte
mich mein Vater gefragt und mich von da an nur noch unsere
Frau Buschdoktor genannt. Ich spürte ein Brennen hinter meinen Lidern. Hundefleisch.
Der eingebildete Küchengeruch wurde unerträglich. Ich ging zum Fenster
und riss beide Flügel auf. Vom Fluss stieg kalter Dunst auf und verhüllte den
Herbstwald. Nur hier und da tauchten Baumwipfel wie Speerspitzen aus dem weißen
Meer. Hinter der wallenden Nebelwand ertönte der sehnsuchtsvolle Ruf der
Hirsche. Irgendwo da draußen war Vinzenz Steiner. Der Jäger, der lauschte und wartete,
um einen von ihnen zu töten.
Der feuchte Nebel quoll ins Zimmer, legte sich über meinen Mund und meine
Nase und umspielte meinen Hals. Da klopfte es an der Zimmertür. Die wirbelnden
weißen Schwaden zogen an mir vorüber.
»Frau Doktor?«
»Komme schon.« Rasch schlug ich die Fensterflügel zu. Auf dem nur schwach
erhellten Gang stand Wetti, ein Holztablett mit Teegeschirr und einen Teller
mit Bauernkrapfen in den Händen.
Grübchen erschienen auf ihren Wangen, als sie mir das Tablett hinhielt.
»Schaun S’, Frau Doktor, ich bring Ihnen Ihren Tee.«
»Danke, aber …«
»Nix aber.« Sie drängte sich an mir vorbei ins Zimmer und stellte das
Tablett auf den Schreibtisch. »Das Fräulein Hansi hat gemeint, Sie hätten
sicher gern was von ihrem Selbstgebackenen. Und weil S’ ja gar so durch die
Halle gestürmt sind …« Sie zwinkerte mir zu.
»Sehr nett …« Mir war nicht nach Essen zumute. Wetti griff nach dem
Schalter der Schreibtischlampe, aber ich sagte schnell: »Lassen Sie das Licht
ruhig aus. Es ist gerade so gemütlich.« Ich wollte nicht, dass sie mir meine
Verfassung ansah.
»Wie S’ meinen.« Wetti nickte. »Heute is’ Pfarrgemeinderatssitzung
in der Stube. Soll ich Ihnen Ihr Essen später raufbringen?«
Das war also die Erklärung für die Stimmen und das Gelächter in der
Halle. Auf die Gesellschaft der Kirchenmitglieder konnte ich heute gut
verzichten. Ich schüttelte den Kopf. Aus der Tülle der Teekanne stiegen
Rauchkringel auf, und die Krapfen dufteten nach Vanille und einer Spur Zimt.
»Haben Sie schon mal Hundefleisch gegessen?« Die Frage rutschte mir
heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte.
»Hundefleisch?« Wetti hob die Brauen. »Wie kommen S’ jetzt auf des?«
»Ach, nur so.« Ich tippte auf den Deckel der Teekanne. »Ich hab mal
gelesen, dass es ein … ein Hausmittel sein soll.«
Wetti nahm die Kanne und schenkte Tee ein. »Kann sein.«
Dann schaute sie auf, und ich erhaschte einen Ausdruck auf ihrem Gesicht,
den ich im Dämmerlicht nicht deuten konnte.
»Ach ja? Wo bekommen die Leute die Hunde denn her?« Hoffentlich nicht
unter einem Vorwand aus dem Tierheim.
Wetti zuckte die Schultern. »Ach wissen S’, wenn so ein alter Hund
stirbt, dann wird er halt
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