Jagablut
abgeholt. Aus dem Fett kann man Salbe machen und …
so.«
Sofort fiel mir Molly, der Mops meiner Großtante Sophie, ein.
Wetti räusperte sich. »Hab ich zumindest gehört.«
»Und wer tut so was?«
Sie stellte das Teegeschirr und den Krapfenteller vom Tablett auf den
Schreibtisch. Dann hielt sie sich das leere Tablett vor die Brust. »Keine
Ahnung.« Sie ging zur Tür. »Wenn S’ Ihr Abendessen doch aufs Zimmer
wollen, melden S’ sich. Gute Nacht.« Damit ließ sie mich allein.
Ich kuschelte mich wieder in den Ohrensessel. Nachdenklich trank ich den
Tee in kleinen Schlucken. Er schmeckte eigenartig bittersüß nach Kräutern, aber
er war warm und tröstlich. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein.
Mitten in der Nacht erwachte ich schweißgebadet.
Auf dem Gang knarrten die Dielen. Es musste dieses Geräusch gewesen sein,
das mich geweckt hatte. Ein Lichtschein tastete sich unter meiner Zimmertür
hindurch, erlosch, flackerte wieder auf und leuchtete dann hell und konstant. Etwas
raschelte, dann klapperte metallisch ein Schlüsselbund. Jemand war vor meiner
Tür.
Ich sprang auf, wodurch die Beine des Ohrensessels über den Holzboden
schabten. Sogleich erlosch der Schein unter dem Türspalt. Ich knipste das Licht
an, stürzte durchs Zimmer und riss die Tür auf.
Aus dem Augenwinkel erhaschte ich rechts von mir einen großen Schatten.
»Was …?« Von oben traf mich ein Schlag. »Hilfe …« Meine Knie
gaben nach. Ein reißender Schmerz durchzuckte meine Schultern. Hilfe … Ich stürzte in einen finsteren Abgrund.
»Frau Doktor! Frau Doktor!«
Wie durch Watte drangen die Worte in mein Bewusstsein. Mein Kopf
schmerzte wie verrückt, aber ich erkannte Georg Kamls Stimme.
»Alles in Ordnung? Hören Sie mich? Hallo, hallo!«
Jemand schlug mir unsanft auf die Wange. Ich riss die Augen auf. Über mir
schwebte Georg Kamls besorgtes Gesicht. Schweißgeruch strömte aus seinem blauen
Trainingsanzug. Vorsichtig drehte ich den Kopf zur Seite. Ich lag auf dem
Teppich vor dem Bauernschrank in meinem Zimmer. Um mich herum standen die Bewohner
des Gasthofs mit bestürzten Mienen und in Morgenmänteln, die sie sich
übergeworfen und in der Hast zum Teil nicht einmal zugebunden hatten. In der
ersten Reihe konnte ich den alten Wenghofer in einem blau-weiß gestreiften
Frotteemantel erkennen. Sein Kopf zitterte hin und her, als könnte er nicht
glauben, was er sah.
Der Mensch lebt in seinen Gewohnheiten, und gerade in beängstigenden
Situationen klammert er sich an sie. Ich war da keine Ausnahme. Also ging ich
in Gedanken routinemäßig meine Diagnoseliste durch. Weder war ich schläfrig,
noch war mir schlecht. Und ich wusste, wo ich mich befand. Also hatte ich wohl
keine Gehirnerschütterung.
»Was ist denn passiert?«, flüsterte ich.
»Sie sind überfallen worden.« Herr Janssen hockte neben mir. Er trug einen
schwarzen Pyjama. Im Ausschnitt des Oberteils glänzte ein tibetischer
Silberanhänger an einer geflochtenen Lederkette. »Herr Kaml hat Ihnen das Leben
gerettet.« Er nickte Kaml zu, der an meiner anderen Seite kniete.
Ich hob den Kopf. Sofort stützten mich die beiden Männer, und es gelang
mir, mich aufzusetzen. Unter meinem Schädeldach pochte der Schmerz, und meine
Arme fühlten sich an, als hätte jemand versucht, sie auszureißen.
»Haben S’ Ihren Angreifer gesehen?«, fragte Kaml. »Das wär wichtig.«
Ich versuchte zu antworten, aber meine Kehle war wie ausgedörrt. Der alte
Wenghofer tappte in mein Badezimmer, und ich hörte Wasser laufen. Gleich darauf
war er wieder da und reichte mir einen Zahnputzbecher. Dankbar trank ich die
kalte Flüssigkeit.
»Ja … nein … ich weiß nicht«, murmelte ich. »Vielleicht
erinnere ich mich später.«
Kaml brummte.
»Wo … haben Sie mich denn gefunden?«
»Na hier, in Ihrem Zimmer.«
Mein Angreifer hatte mich also am Gang zu Boden geschlagen und dann ins
Zimmer zurückgezerrt. Um mich vor den anderen Hausbewohnern zu verbergen? Mir
wurde kalt.
Eine schmale Gestalt schob sich von hinten durch die Umstehenden. Es war
Hansi. Sie trug einen weißen Morgenmantel, den sie mitsamt dem Spitzenkragen
ihres Nachthemds am Hals zusammengerafft hielt. Mit ausdrucksloser Miene
starrte sie auf mich herab. Dann erst schien sie den neben mir knienden Kaml
wahrzunehmen. Ihre Augen weiteten sich verblüfft. Sie nickte mehrmals und bewegte
den Mund, als wollte sie etwas sagen. Doch es kam kein Ton über ihre Lippen.
Janssen wandte sich an Kaml. »Sie
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