Jagablut
Kollegen. »Dann werden wir Nachschau
halten müssen. Viel Zweck wird’s ja nicht mehr haben. Gemma!« Er steuerte auf
die Tür unter der Treppe zu und drückte die Klinke hinunter. Erwartungsgemäß
war Steiners Wohnung versperrt. »Wo is’ der Vinzenz?« Er klopfte gegen das
Türblatt. »Wieso hat den niemand geweckt?«
»Der Wirt is’ auf der Jagd.« Kaml drängte sich durch die Hausbewohner
nach vorn. Er hatte sich inzwischen Holzpantinen angezogen.
»Ich glaube, wir sollten dann mal wieder ins Bett gehen.« Frau Janssen
hatte ihren Mann am Arm gefasst. »Komm, Reinhold.«
»Quatsch, du hast doch gehört, was Herr Kaml gesagt hat.« Janssen
schüttelte die Hand ab, ohne seine Frau dabei anzusehen. »Der Täter könnte noch
im Haus sein. Vielleicht braucht die Polizei Hilfe.« Er zog seine schwarze
Schlafanzughose hoch.
»Ha, ausgerechnet …«
»Nix, das geht uns alle an.« Janssen stellte sich zu den Polizisten, die
dem ehelichen Geplänkel keine Beachtung geschenkt hatten. Offenbar wollte er
sich dieses Urlaubsabenteuer nicht entgehen lassen.
»Der Wagen vom Vinzenz steht aber vor dem Haus.« Der jüngere Polizist
hakte die Daumen in den Gürtel. »Der grüne Puch G, Walter.«
»Der Steiner is’ mit dem Holzinger Matthias hinauf zur Hütte«, sagte
Kaml. »Mit dem is’ er auch mitgefahren. Vor morgen is’ der nicht zurück.« Er
fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
Die Polizisten gaben sich mit dieser Auskunft zufrieden, und unsere
Gruppe, einschließlich Frau Janssen, setzte sich wieder in Bewegung. Bei Gefahr
drängt sich die Schafherde zusammen. Wir trabten durch den ganzen Gasthof, vom
riesigen alten Dachboden bis zum neu angelegten Weinkeller, doch nirgends fand
sich eine verdächtige Spur. Irgendwann standen wir alle in der Gaststube.
»Und jetzt?« Walter hob die Brauen.
»Bleibt nur noch die Küche«, sagte sein Kollege.
Die Küche strahlte sauber und aufgeräumt im Licht der Deckenlampen. Die
Arbeitsplatten glänzten genauso wie die riesigen Töpfe und Kasserollen. Vom
Abzug über dem Herd hingen Pfannenheber, Suppenkellen und Kochlöffel herab.
Über der Spüle stapelten sich in einem in die Wand eingelassenen Regal blau
karierte Küchentücher. Daneben befand sich eine Stahltür. Eine große Espressomaschine
mit schwarz-rotem Gehäuse verbreitete italienische Eleganz. In einem Holzblock
steckten mehrere unterschiedlich lange Messer.
»Hier is’ auch nix, Walter«, sagte der jüngere Polizist.
Aber Walter steuerte schon auf die Metalltür neben der Spüle zu. »Wo
führt die Tür hin?« Er rüttelte an dem Stahlgriff.
»In den Zerwirkraum«, sagte Kaml. »Und dahinter is’ die Kühlkammer.«
»Ach, ja?« Walter drehte sich sofort zu ihm um. »Und was habt’s drinnen?«
Kaml zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, was der Wirt zuletzt so
geschossen hat. Da müßt’s den Koch fragen …«
Der Polizist trat einen Schritt zurück. »Öffnen.«
Kaml kramte einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloss auf. Sofort
schlug uns kalte Luft entgegen. Als das Licht anging, betraten wir einer nach
dem anderen den Raum. Er war bis unter die Decke gefliest. In der Mitte befand
sich ein Stahltisch, auf dem ein harter Putzschwamm kreisförmige Schleifspuren
hinterlassen hatte. Neben einem an der Decke befestigten Seilzug baumelte ein
aufgerollter Wasserschlauch, und über unseren Köpfen verlief eine armdicke Metallstange,
an der mehrere Fleischerhaken befestigt waren. Über dem Stahltisch hing eine
Kreissäge. Ihr gezacktes Sägeblatt strahlte im kalten Neonlicht wie ein Stern.
Die Luft roch metallisch, wie in Wasser gelöstes frisches Blut, das noch
nicht mit Sauerstoff in Berührung gekommen war und seinen fauligen Fischgeruch
entwickeln konnte. Frau Janssen zog scharf den Atem ein und hakte sich bei
ihrem Mann unter. Auch den anderen war anzusehen, dass sie sich in dieser
Umgebung unbehaglich fühlten. Nur Hansi hing offenbar ihren eigenen Gedanken
nach. Den Kopf zur Seite geneigt, sodass ihre Wange die Spitzen ihres Nachthemdkragens
berührte, die Hände gefaltet, lag ein entrücktes Lächeln auf ihrem Gesicht. In
ihrem weißen Morgenmantel wirkte sie wie eine Erscheinung.
Kaml ging auf eine weitere Tür mit einem Hebelverschluss zu und öffnete
sie. »Die Kühlkammer«, sagte er und schaltete das Licht ein.
Der Kammer entwich ein Gestank nach Fäulnis und Zerfall, der mich nach
Luft schnappen ließ. Auch wenn mir der Geruch in der Pathologie nie etwas
ausgemacht hatte, in dieser
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