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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Kellnerin stand
neben meinem Tisch.
    »Nein, danke, ich lese gerade den Artikel hier.« Ich zeigte auf die
Zeitung. »Was war denn der Munz-Fall?« Die drei Männer unterbrachen erneut ihr
Gespräch.
    »Der Munz-Fall?« Sie zog die Brauen zusammen. »Mei, das is’ schon ewig
her.« Sie überlegte einen Augenblick. Dann sagte sie: »Der Simon Munz, heißt’s,
hat sich erschossen. Ja, ich mein, der hat sich erschossen.« Sie betrachtete
das Foto. »Dabei war der ein ganz fescher Bursch, eigentlich.«
    »Erschossen? Wie ist denn das passiert?«
    Die junge Frau zuckte die Schultern. »Na, Selbstmord hat er begangen, was
sonst?«
    »Ach.« Ich überflog rasch noch einmal den Artikel. »Und was hatte Vinzenz
Steiner damit zu tun? Hier steht was von einem Prozess?«
    Einer der alten Männer am Nachbartisch hob die Hand. »Christina …«
    »Komme gleich.« Die Kellnerin nickte in seine Richtung. »Also, was der
alte Steiner genau damit zu tun gehabt hat … puh, keine Ahnung. Mein Opa
hat mal erzählt, da wär was mit einem Jäger gewesen, der wo …«
    »Christina.« Der Mann am Nachbartisch hielt sein leeres Bierglas in die
Höhe. »Wir haben nix mehr zu trinken. Geh, bring uns geschwind drei Seidl.«
    Christina seufzte. »Oh Mann, ich muss arbeiten.« Sie drehte sich rasch zu
den drei Männern um. Die Blumen auf ihrem Hippiehemd schienen sich im Wind zu
wiegen. »Komm eh gleich!« Wieder zu mir gewandt setzte sie mit gesenkter Stimme
hinzu: »Zurück in die Gräber, Opas.« Und wieder lauter: »Also, der Munz hat
sich erschossen damals. Sagte ich ja schon. Und der Steiner is’ jetzt auch
hinüber. Das heißt, alle am Friedhof.« Sie stützte sich mit einer Hand auf den
Tisch und beugte sich vor. »Wissen S’, was mein Opa sagt? Bis auf den
alten …«
    Mein Nachbar ließ die Hand auf die Tischplatte krachen. »Christina,
Herrschaftszeiten, schwatz nicht, wir verdursten.«
    »Ja!« Sie verdrehte die Augen. »Bin ja schon da.«
    »Einen Moment.« Ich zog die Wachsjacke vom Nebenstuhl und holte meine
Geldbörse heraus. »Ich möchte noch schnell zahlen.«
    Kurz darauf stand ich wieder draußen vor der Tür. Der warme Wind wirbelte
Staubschwaden durch die Hauptstraße. Trockenes Herbstlaub tanzte in der Luft.
Den Landrover hatte ich direkt vor dem Café geparkt. Ich zog den Autoschlüssel
aus meiner Wachsjacke. Etwas glitt mir durch die Finger und fiel klirrend auf
den Asphalt. Ich bückte mich und hob einen alten geschmiedeten Eisenschlüssel
auf. Er musste in der Jackentasche gesteckt haben.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich mich erinnerte, wohin der Schlüssel
gehörte. Eh ich’s vergess – den Bauernschrank können S’ nicht benutzen . Steiner
hatte das gesagt, an jenem ersten Abend, als er mir mein Zimmer gezeigt hatte.
Später hatte ich den Schlüssel zum Schrank eingesteckt und vergessen, ihn dem
Wirt zu geben. Jetzt brauchte er ihn nicht mehr. Ich ließ den Schlüssel zurück
in meine Jackentasche gleiten.
    Der rosa-weiße Zwiebelturm der Kirche am oberen Ende der Straße leuchtete
vor dem blitzblauen Föhnhimmel. Also, der Munz hat
sich erschossen damals. Und der Steiner is’ jetzt auch hinüber. Das heißt, alle
am Friedhof. Etwas irritierte mich an Christinas Worten. Simon Munz hatte
doch angeblich Selbstmord begangen. Seit wann begrub man Selbstmörder denn auf
dem Kirchhof? In Wien hatte man heute wahrscheinlich keine Probleme mehr damit.
Aber vor über vierzig Jahren? Am Land? Ich ließ den Landrover stehen und
spazierte die Straße entlang, bis ich vor der Kirche stand.
    Drei ausgetretene rote Marmorstufen führten zum Friedhof hinauf. Das
schmiedeeiserne Tor stand offen, und an einem der Flügel hing an einer schweren
Eisenkette ein Vorhängeschloss. Offenbar war der Kirchhof während der
Nachtstunden geschlossen und die Ruhe der Toten gut gesichert.
    Langsam wanderte ich zwischen den Gräberreihen dahin. Überall leuchteten
Astern und Chrysanthemen, und zwischen den Blumen flackerten rote Grablichter.
Ganze Familien lagen in eingesunkenen Grabstätten, und an den schlichten
Holzkreuzen von frisch aufgeworfenen Gräbern hingen noch die vertrockneten
Kränze der Beerdigung. Kunstvoll geschmiedete Ranken schlangen sich um schwarze
Eisenkreuze. Auf schmalen Tafeln wurden Namen der Toten für die Nachwelt
bewahrt. Immer wieder kam ich an den rührenden Porzellanporträts toter Kinder
vorbei. In weißen Kleidchen und mit Kränzen auf dem Kopf schienen sie ihrer
Bestimmung als Engel im Himmel

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