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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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dunkel und gezackt wie
Schattenrisse, schienen zum Greifen nah. Sogar in der Hauptstraße von Alpbach
wehte der Föhn. Gegen zehn betrat ich das Café Guglhupf und musste dabei die
Tür festhalten, damit sie mir nicht aus der Hand gerissen wurde.
    Ich war aus dem Jagawirt geflüchtet. Die Gaststube wurde von Reportern
und Neugierigen bevölkert, und in der Halle wimmelte es von Männern in weißen
Overalls. Überall standen Aluminiumkoffer und technisches Gerät herum. Als ich
auf dem Weg nach draußen an der geschlossenen Tür zu Steiners Wohnung
vorbeiging, hörte ich, wie dahinter etwas zu Boden fiel. Das Geräusch klang
genau wie das Rumpeln, von dem ich irrtümlich angenommen hatte, dass es den
Aufbruch zur Jagd angezeigt hatte. Die Leiche des Wirtes war noch in den
Abendstunden abtransportiert worden, aber sein Geist schien den Gasthof nicht verlassen
zu wollen.
    Das Café Guglhupf war um diese Uhrzeit nur schwach besetzt. Drei ältere
Männer tranken ihren Frühschoppen. Vor der Kuchentheke saßen zwei Frauen beim
Kaffee. Ihre vollen Einkaufstaschen standen neben ihnen am Boden. In einer Ecke
war ein junger Mann in die Zeitung vertieft. Ich wählte einen Tisch in der
Mitte.
    Als die junge Kellnerin in Jeans und geblümtem Hemd an meinen Tisch kam,
bestellte ich einen doppelten Espresso. Heute brauchte ich etwas Stärkeres als
Tee.
    »Ich bring Ihnen dann die Zeitung zum Kaffee, oder?« Das Mädchen musterte
mich. Natürlich wusste sie, wer ich war und wo ich wohnte. »Die Chefin sagt, da
steht schon was über unseren Mord drin.« Der bunte Papagei, der in ihrem großen
Ohrring saß, schaukelte voll Eifer.
    Die Worte der Kellnerin waren in dem halb leeren Café so deutlich zu
hören, dass die anderen Gespräche um mich herum verstummten. Die drei Männer,
die vor ihren Biergläsern saßen, starrten herüber.
    »Ja, tun Sie das.« Ich ignorierte die Blicke und schaute aus dem Fenster,
wo der Föhn die letzten Blätter von den Alleebäumen riss.
    Die Kellnerin brachte mir den Espresso. Die Tageszeitung legte sie neben
die Tasse. Der Mord stand auf Seite 1.
     
    Alpbacher Wirt
mit Jagdmesser erstochen
    Tot
aufgefunden wurde gestern in den späten Nachmittagsstunden in Alpbach Vinzenz
Steiner (72). Der angesehene Wirt des Gasthofes »Zum Jagawirt« und
leidenschaftliche Jäger hatte vor ein paar Tagen zu einem mehrtägigen
Jagdausflug aufbrechen wollen. Als Steiner entgegen seinen Ankündigungen nicht
zur vereinbarten Zeit zurückkehrte, wurde eine private Suchaktion gestartet, an
der unter anderem der Tierarzt des Ortes, Viktor Thurner (33), und die seit
Kurzem in Alpbach praktizierende Ärztin Emma Canisius (29) teilnahmen. Thurner
und Canisius waren es auch, die Steiners Leiche in seiner Wohnung auffanden.
Der Wirt war erstochen worden.
     
    Ich nahm einen Schluck Espresso. Da wusste der Reporter ja
mehr als die Rechtsmedizin. Die Obduktion hatte sicher noch nicht
stattgefunden. Und woher kannte der Typ überhaupt mein Alter? Der Kaffee
schmeckte bitter.
     
    - Vinzenz
Steiner war in den Sechzigerjahren im Zusammenhang mit dem Tod des unter nach
wie vor ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Simon Munz (24) in die
Schlagzeilen geraten. In dem damaligen Prozess war Steiner freigesprochen
worden und führte seither gemeinsam mit seiner Schwester Johanna (66) das
elterliche Gasthaus. Von Elisabeth Gassner
     
    Bebildert war der Artikel mit drei Fotos. Eine Vorderansicht
des Jagawirts erinnerte an eine Postkarte. Die mächtige Linde stand in voller
Blüte, und an den Fenstern des Gasthofs hingen Blumenkästen. Ein Bild wie aus
den Zeiten der Sommerfrische. Das zweite Foto zeigte Vinzenz Steiner, der,
einen Hut auf dem Kopf, hinter einem toten Hirsch mit mächtigem Geweih kauerte.
Seine Augen lagen im Schatten der Hutkrempe, aber sein Mund war in die Breite
gezogen. Der Hirsch hatte die Lider halb geschlossen, und aus seinem Maul ragte
ein Tannenzweig.
    Ich sah mir die Person auf dem dritten Bild an. Die Aufnahme war ein wenig
verschwommen, vielleicht, weil es ein Ausschnitt aus einer größeren Fotografie
war. Sie zeigte einen jungen Mann mit schulterlangen blonden Locken, wie man
sie in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren getragen hatte. Die
Bildunterschrift lautete: »Simon Munz (24)«. Irgendwie kam mir das Gesicht
bekannt vor. Aber die Aufnahme war zu unscharf, als dass ich hätte sagen
können, an wen mich der Mann erinnerte.
    »Möchten S’ vielleicht noch eine Eierspeis?« Die

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