Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
Vom Netzwerk:
war. Ich lebte gerne in dem alten Gasthof, und ich mochte seine Bewohner:
die mütterliche Wetti, die auch außerhalb der Küchenzeiten stets ein warmes
Essen für mich bereithielt. Hansi, die so liebenswert und versponnen war wie
meine Großtante Sophie. Georg Kaml, der nach dem Tod des Wirtes ganz
selbstverständlich die Rolle des Hausvaters übernommen hatte. Den scheuen Herrn
Wenghofer und sogar die Stallners. Die Ereignisse hatten uns zu einer Schicksalsgemeinschaft
zusammengeschweißt, für die auch ich mich in gewisser Weise verantwortlich
fühlte. In den letzten Tagen war Jacqueline Seywald mehrmals im Jagawirt aufgetaucht,
und wir machten uns alle Sorgen, wie sie über ihr Erbe verfügen würde und wie
es mit dem Gasthof weiterging.
    In diesem Augenblick klopfte es energisch an der Tür. Miranda erschien
mit einem Tablett, auf dem zwei Espressi und ein Teller mit Keksen standen.
Viktor erhob sich sofort und drehte seinen Stuhl um. Miranda lächelte ihm zu
und trat zum Tisch.
    »Espresso ohne Milch, stimmt’s, Vickerl?« Sie platzierte die Tassen und
die Kekse neben dem Blumenstrauß. »Dann wünsch ich guten Appetit. Ich bin dann
mal auf Mittagspause.« Sie zwinkerte mir doch tatsächlich hinter Viktors Rücken
zu. »Kann heute etwas länger dauern.« Ohne meine Antwort abzuwarten, verschwand
sie.
    »Guten Appetit.« Ich machte eine einladende Handbewegung in Richtung des
Gebäcks. Es waren einfache Butterkekse, die ich für meine kleinsten Patienten
bereithielt, nahezu geschmacklos und staubtrocken, aber zuckerarm. »Tauch sie
lieber in den Kaffee, wenn du welche essen willst.«
    Viktor setzte sich, diesmal richtig herum, an den Tisch und zog eine
Kaffeetasse zu sich heran. »Die Miri meint’s halt immer gut mit mir.« Ich
fragte mich, ob er und Miranda näher miteinander bekannt waren. »So, so, dann
bleibst du also im Jagawirt.« Er trank einen Schluck Espresso und beobachtete
mich über den Rand der Tasse. »Wie läuft’s denn im Gasthof so ohne den Wirt?«
    Ich zuckte die Achseln. »Die Wogen haben sich geglättet.« Ich nahm mir
meinen Espresso und rührte ein wenig in der Tasse herum. »Überhaupt, seitdem
die Presse aus dem Haus ist.« Über den Mord hatten alle Zeitungen auf Seite
eins berichtet. Dann waren die Artikel kürzer geworden und auf die Lokalseiten
gewandert. Inzwischen beherrschten neue Verbrechen die Tagespresse. Nur das
»Alpbacher Wochenblatt« hatte noch einen Nachruf auf Vinzenz Steiner gedruckt.
»Sagt dir der Name Simon Munz etwas?«
    »Simon Munz?« Viktor lachte. »Wie kommst du denn auf den?«
    »Ich bin in einem Zeitungsartikel auf ihn gestoßen.«
    Thurner schüttelte den Kopf. »Wie der Simon Munz gestorben ist, war ich
noch gar nicht auf der Welt.« Er klang, als wäre damit alles gesagt.
    »Aber von dem Munz-Fall hast du doch gehört?«
    Er seufzte und schob seine Tasse von sich weg. Dann sah er mir direkt ins
Gesicht. »Jeder hier hat davon gehört. Aber das sind alte Geschichten, die
lange vorbei sind. Die Sache hat damals für viel Aufregung im Ort gesorgt.
Inzwischen ist Gras darüber gewachsen.« Er fuhr mit der flachen Hand durch die
Luft, als ebne er einen Erdhügel ein. »Wenn du dir einen Gefallen tun willst,
dann lass das Thema ruhen. Die Leute hier schätzen es nicht, wenn Außenstehende
die Nase in ihre Angelegenheiten stecken.«
    »Danke, den Rat bekomme ich ständig.« Ich warf den Kaffeelöffel auf die
Untertasse. »Aber ich lebe nun mal in Alpbach und gehöre auch dazu. Also –
was ist damals passiert?«
    Viktor verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. »Na
gut, Emma«, sagte er. »Was weißt du über Wilderei?«
    »Wilderei?« In meiner Vorstellung waren Wilderer junge Männer in alten
Trachten, die mit geschwärzten Gesichtern durch den Wald zogen, die Rucksäcke
voll heimlich geschossener Tiere, immer verfolgt von wackeren Jägern, die sich
für ihren Herrn in Lebensgefahr begaben. »Wilderer waren so was wie Räuber,
oder nicht?«
    Viktor lachte. »Du bist echt ein Stadtkind.« Seine Mundwinkel zogen sich
nach unten. »Weißt du eigentlich, wie’s hier im Gebirge ausgesehen hat, bevor
die Touristen gekommen sind? Wovon die Leute gelebt haben?«
    Her mit meinem Heimatkundewissen. »Äh, Landwirtschaft.«
    »Landwirtschaft?« Viktor hob die Brauen, dass ich mich meiner
offenkundigen Unwissenheit schämte. »Glückliche Kühe auf grünen Wiesen?«
    »Na, ja …?«
    »Kleinbauern waren das, die der Hof kaum ernährt hat.

Weitere Kostenlose Bücher