Jagablut
Holzknechte, die
mit ihren Familien auf der Straße gestanden haben, wenn die Holzarbeit mal
weniger war. Besitzlose Tagelöhner.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die
Arme vor der Brust. »Was tätst denn du, wenn deine Kinder hungern und der Wald
ist voller Wild? Darfst es aber nicht schießen, weil’s ja dem Grundherrn
gehört?«
Er hatte recht. »Wildern.«
»Eben.« Viktor nickte. »Die Leute haben das als ihr gutes Recht betrachtet.
Die Strafen waren drakonisch, aber so viele wurden nicht erwischt.« Er beugte
sich vor und starrte mich an. »Da gab’s einen starken Rückhalt in der
Bevölkerung. Wenn der Wildschütz einen Teil seiner Beute im Dorf abgegeben hat,
konnte er den Rest behalten. Oder in den Gasthäusern verkaufen. Den hätt nie wer
angezeigt.« Er zog eine Aster aus dem Strauß und tippte damit in meine
Richtung. Der Blütenkopf nickte, als wollte er Viktors Worte bekräftigen. »Die
Wilderer waren hier in der Gegend geachtete und bewunderte Männer.«
»Und die Jäger?«, fragte ich. »Hatten die etwa keine Familie? Vielleicht
haben die das anders gesehen?«
Viktor warf die Blume auf den Tisch. »Sicher hatten die Familie. Aber der
Jäger hat halt auch nur einen Hungerlohn verdient. Tagelang im Revier, bei Wind
und Wetter, immer in schwerer, nasser Lodenkleidung. Wenn er am Berg einen
Unfall hatte, war’s aus mit dem Broterwerb. Denn fast immer ist er dann ein
Krüppel geblieben und mit der ganzen Familie auf der Straße gestanden. Mit
vierzig waren die meisten Jäger sowieso krank und arbeitsunfähig. Dann hat auch
auf sie nur noch der Bettelstab gewartet.« Ich dachte an die vielen jungen
Toten auf dem Alpbacher Friedhof. »Und wenn’s ein Jäger wirklich bis zur
Pension geschafft hat, musste ihn sein junger Nachfolger erhalten.« Viktors
Lachen klang bitter. »Sparte dem Jagdherrn, in unserem Fall dem Herrn
Erzbischof, eine Menge Geld.«
Die Spitzen der Astern glühten im Sonnenlicht wie groteske Sterne,
wunderschön, aber stachelig. Ich war nicht zuletzt nach Alpbach gekommen, weil
ich die heile Welt gesucht hatte. Auf die Idee, mich mit der Geschichte des
Dorfes zu befassen, war ich nicht gekommen. Ich tippte einen bronzefarbenen
Blütenkopf an. Er schaukelte hin und her, als wollte er meiner Berührung
ausweichen.
»Klar«, fuhr Viktor fort, »dass die meisten Berufsjäger ihr Leben nicht
auch noch im Kampf mit Wildererbanden riskiert haben.«
Ich nickte und ließ die Blume in Ruhe.
»Da gab’s sogar viele Jäger, die die Seiten gewechselt haben. Es wurde
ein ziemliches Problem für die Jagdherren. Das waren dann nämlich keine
Bauernburschen mehr, sondern echte Profis. Noch dazu mit ausgezeichneten
Revierkenntnissen.« Er neigte den Kopf zur Seite und schaute mich an.
»Warum erzählst du mir das alles?«
»Weil du nach Simon Munz gefragt hast.«
Aus der Ferne war Glockenläuten zu hören.
Viktor warf einen Blick auf seine Armbanduhr und runzelte die Stirn.
»Halb zwei. In einer halben Stunde soll ich wieder in der Praxis sein.«
»Einen Augenblick noch. Simon Munz war also ein Wilderer?«
»Ja.« Viktor fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ja, der Simon Munz war
ein Wilderer. Eines Tages haben er und seine Kumpane sich ein Feuergefecht mit
den Jägern geliefert. Droben bei der Geieralm, da wo du gesessen bist, als ich
dich das erste Mal gesehen hab.«
Das weiße Kruzifix auf der sonnenwarmen Hüttenwand fiel mir ein und der
Steinadler, der in aller Ruhe seine Runden zog.
»Dabei haben’s einen Jäger erschossen. Tja, und der Simon Munz hat auch
sein Leben verloren. Auf jeder Seite ein Toter.« Er schlug sich mit den Händen
auf die ledernen Knie seiner Bundhose. »Jetzt muss ich aber los.« Der bemalte
Holzstuhl schabte über den Boden, als er aufstand.
»Warte – wie ist denn Simon Munz gestorben?«
»Der Simon?« Viktor streckte sich, als hätte er zu lange auf dem harten
Stuhl gesessen. »Der Simon hat sich selbst erschossen.« Er schob die Hände in
die Taschen der Lederhose und wippte von den Zehen auf die Fersen und zurück.
Es war noch nicht lange her, da hatte Vinzenz Steiner in der gleichen
Haltung vor mir gestanden. An jenem Herbstabend hatte er mit seiner Tochter um
Geld gestritten und sich Sorgen über die sichere Heimkehr seiner Hausgäste
gemacht. Und ich hatte zum ersten Mal im Leben Hirschröhren gehört.
»Das hat damals die Obduktion vom Mooslechner eindeutig ergeben.« Viktor
ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke.
»Und wer
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