Jagablut
Kreislauf ein wenig stabilisiert
hatte. Dann stieg ich mit wackligen Beinen über die Kleiderhaufen und tappte
zum Bad. Der Bauernschrank im Vorraum stand sperrangelweit offen, sein leeres
Inneres gähnte mir entgegen. Alle Papiere waren herausgerissen worden und
bedeckten den Boden vor der Zimmertür. Ein schwarzes Heft mit der Aufschrift
»Personal/Service« fiel mir auf. Ein mit Fettflecken übersätes Kochrezept lag
vor der Badezimmertür. Der Schrankschlüssel steckte noch im Schloss.
Das Bad wirkte nahezu unberührt. Nur ein Stapel Handtücher lag auf dem
Boden, Tiegel und Fläschchen jedoch standen an ihrem Platz. Während ich kaltes
Wasser in ein Glas laufen ließ, betrachtete ich mich im Spiegel. Mein Haar hing
strähnig um mein blasses Gesicht, und unter meinen Augen lagen tiefe Schatten.
Am Hals konnte ich rote Druckstellen erkennen. Zaghaft fuhr ich mit dem Zeigefinger
darüber. Der Angreifer hatte mir mit solcher Entschlossenheit und Kraft die
Kehle zugedrückt. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, mich zu töten. Aber er
hatte es nicht getan. Das sollte wohl eine Warnung sein. Oder hatte er mich
womöglich schon für tot gehalten?
Ich trank von dem kalten Wasser. Wer immer mich überfallen hatte, musste
verzweifelt etwas gesucht haben. Das Schlucken tat mir weh. Was hatte der Täter
gewollt? Geld? Dann hätte ihm ein Griff in meine Handtasche genügt. Unterlagen
aus der Praxis? Dazu hätte er keine Kleidung aus der Kommode und dem Schrank
reißen müssen. Vorsichtig nahm ich noch einen Schluck Wasser. Hatte mein
Angreifer im Bauernschrank gefunden, wonach er suchte? Nicht, wenn er dort als
Erstes nachgeschaut hatte. Denn dann hätte er nicht noch mein ganzes Zimmer auf
den Kopf gestellt.
Ich trank das Glas leer und stellte es auf die Ablage unter dem Spiegel.
Meine Augen starrten mich groß und fiebrig an. Wer ?
Derselbe, der mich gleich nach meiner Ankunft überfallen hatte? Ein
Fremder oder doch jemand aus dem Haus? Rasch ging ich meine Mitbewohner durch:
Es waren Männerhände gewesen, die mir die Kehle zugedrückt hatten, also schloss
ich die Frauen aus. Blieben Georg Kaml, der alte Herr Wenghofer und Johannes
Stallner. Die Janssens, die bei meinem ersten Überfall noch im Gasthof gewohnt
hatten, waren am Tag nach dem Mord abgereist. Aber Kaml war mir damals zu Hilfe
geeilt, und Wenghofer war nicht kräftig genug. Stallner? Der scharfe Geruch in
meinem Zimmer fiel mir ein. Ich hatte es für Putzmittel gehalten. Hatte ich
Alkohol gerochen?
Es wäre besser, wenn du ausziehst, glaub mir . Viktor
wollte mich warnen, aber vor wem? Der Pfarrer hatte das Gleiche gesagt. Mein
erster Impuls war, den Rat der Männer anzunehmen und mir ein anderes Quartier
zu suchen. Sofort schien eine Last von meinen Schultern zu fallen.
Doch die Erleichterung währte nur kurz. Flucht war keine Lösung. Wenn
mich der Täter aus dem Jagawirt vertreiben wollte und der Überfall eine Warnung
war, dann konnte ich mein Problem mit einem Quartierwechsel lösen. Aber wenn
sich irgendetwas in meinem Besitz befand, das der Täter um jeden Preis haben
wollte und das er letzte Nacht nicht gefunden hatte, würde er es wieder
versuchen. Und solange ich nicht wusste, was das war und wer es suchte, war ich
nirgends sicher. Selbst wenn ich mir eine Wohnung mitten in Alpbach mietete,
konnte er mich dort angreifen.
Ich wusch mir minutenlang mit eiskaltem Wasser das Gesicht. Als ich
wieder in den Spiegel schaute, glühten meine Wangen, und meine Augen glänzten
wie Bachkiesel. Ich sah nicht mehr wie ein Opfer aus und fühlte mich auch nicht
so. Das Gesetz des Handelns war auf meiner Seite. Ich ließ mich nicht vom
Jagawirt vertreiben. Und meinen Lebensplan ließ ich mir auch nicht zerstören.
Ich würde diesen Mistkerl erwischen, ehe er seine nächste Chance bekam. Auge um
Auge, Zahn um Zahn. Ab jetzt herrschte Krieg.
Diesmal kamen die beiden Dorfpolizisten in Begleitung eines
dritten Mannes. Sie erschienen in der Gaststube, als ich, ein elegantes Seidentuch
um den Hals, auf der Ofenbank saß. Wetti hatte mir Salbeitee gebracht. Während
ich wartete, dass er abkühlte, schaute ich durch den aufsteigenden Dampf Hansi
zu, die am Nebentisch in ein Kreuzworträtsel vertieft war.
Der Neuankömmling betrat den Raum als Erster, die beiden Polizisten
folgten ihm in respektvollem Abstand. Der jüngere hatte auch diesmal Gel im
Haar, der ältere trug seine Uniformjacke heute zugeknöpft. Er deutete mit der
Hand auf mich, und der Mann trat an
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