Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
Vom Netzwerk:
Huskys.
    »Herr Leitner«, sagte ich so herzlich, als hätten wir erst gestern ein
inniges Gespräch abgebrochen. Schließlich waren wir ja beide Alpbacher. »Ich
möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
    »Ein Gefallen? Schon geschehen.« Er deutete auf meinen Schal. »Wie geht’s
Ihnen denn? Der Grabner Walter hat gestern am Stammtisch von dem Überfall auf
Sie erzählt.«
    »Ach ja?« Mein Schicksal hatte also schon den Weg vom Gemeinderat an den
Stammtisch gefunden.
    Leitner nickte eifrig. »Der Walter is’ doch unser Postenkommandant«,
sagte er freundlich.
    »Das wusste ich gar nicht.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Na ja, mir
geht’s schon wieder gut. Und ich bin sicher, die Sache ist bei der Polizei in
besten Händen.« Walter Grabner hieß also der ältere der beiden Dorfpolizisten.
Das Amtsgeheimnis war in Alpbach anscheinend nicht viel wert. Das musste ich
mir merken. »Aber wissen Sie, ich interessiere mich ein wenig für Heimatkunde,
und nachdem ich ja nun in Alpbach wohne … Also kurz gesagt, ich würde
gerne einen Blick in Ihr Archiv werfen.«
    Leitner starrte mich an.
    »Sie haben doch ein Archiv?«
    »Sie wollen ins Archiv?«
    »Wenn das möglich wäre?«
    Auf der Vorderseite von Leitners grauem Pullover waren weiße Hirsche
eingestrickt. Er kratzte sich am Ohr und dachte offenbar über mein Ansinnen
nach. Anscheinend hatte hier im Ort noch nie jemand das Archiv des »Alpbacher
Wochenblatts« nutzen wollen.
    Endlich räusperte er sich. »Ja, freilich ist das möglich. Es ist nur so …
also, das Archiv ist im Keller. Und es ist ziemlich staubig. Wissen S’,
Frau Doktor, wir hier in Alpbach archivieren nicht auf Mikrofilm oder so.«
    »Das dürfte, äh, kein Problem sein.«
    »Na, wenn Sie meinen …« Leitner schüttelte den Kopf und fischte
einen Schlüsselbund aus der Tasche seiner Cordhose. »Dann kommen S’ mit.
Ich muss Sie aber da unten allein lassen. Sie sehen ja«, er deutete auf den
Computerschirm, »ich hab alle Hände voll mit der neuen Ausgabe zu tun.«
    Ich folgte Leitner durch einen langen Kellergang, vorbei an einer
Stahltür, durch die ich die Geräusche der laufenden Heizung hören konnte, bis
zu einem Raum ganz am Ende des Flurs. Leitner schloss die Tür auf und schaltete
das kalte Deckenlicht ein. Die Wände waren mit Regalen aus Lochblech bedeckt,
wie man sie zur Aufbewahrung von Vorräten verwendet. Ordentlich verschnürte Zeitungspacken
stapelten sich auf den Borden, an denen kleine handgeschriebene Zettel mit
Jahreszahlen klebten. In der Mitte des Raumes stand ein ehemals weißer, im
Laufe der Jahre vergilbter Holztisch, davor zwei einfache Küchenstühle. Es war
bitterkalt in dem Raum.
    »Sie sehen ja selbst …« Leitner zuckte die Schultern. »Wenn S’
nicht zurechtkommen, müssen S’ mich halt fragen.«
    »Ich denke, das wird nicht nötig sein.«
    Mit einem Kopfnicken verließ er mich, um sich wieder dem Weltgeschehen zu
widmen.
    Langsam ging ich an den aufgeschichteten Zeitungsjahrgängen vorbei. Ich
war unschlüssig, wo ich meine Recherche aufnehmen sollte. Das Datum des
Selbstmordes von Simon Munz war in dem Artikel, den ich im Café Guglhupf
gelesen hatte, zwar genannt worden, doch es wollte mir beim besten Willen nicht
mehr einfallen. 1976, 1977, 1978. Vor meinem inneren Auge tauchte die etwas
unscharfe Fotografie des jungen Mannes auf. Das gleiche Bild hing an seinem
schmiedeeisernen Grabkreuz. Daneben stand das Todesdatum, so deutlich, dass ich
es ablesen konnte. Und jetzt erinnerte ich mich wieder. 1968. Rasch wandte ich mich um und ging zu dem Regal zurück,
auf dem die Ausgaben aus den Sechzigern lagerten.
    Da das »Alpbacher Wochenblatt« nur zweiundfünfzig Mal im Jahr erschien,
zog ich einen handlichen, wenn auch staubigen Zeitungsstapel aus dem Regal. Ich
legte ihn auf den Tisch und knüpfte die raue Paketschnur auf, die den Packen
zusammenhielt. Dann setzte ich mich auf einen der harten Küchenstühle und
begann zu lesen.
    Ich fing mit der Ausgabe vom vierten Januar an und arbeitete mich
wochenweise vor. Außer einer Anzeige für den traditionellen Jägerball im Februar
und dem Bild einer Hochzeit im Mai, auf dem eine Schützenkompanie in Jägergrün
Salut schoss, konnte ich zunächst nichts finden, was auch nur entfernt mit Jagd
zu tun hatte. Erst im Juli druckte das Wochenblatt einen kurzen Artikel, in dem
es hieß, der Jäger Josef Raudaschl habe in der Nähe des Geiereck einen
Holzknecht angeschossen und diesen im Gesicht verletzt. Über

Weitere Kostenlose Bücher