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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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unseren Tisch. Sie setzte sich neben mich und
umschloss meine kalten Finger mit ihren Händen.
    »Gestern Abend haben wir viel Betrieb gehabt«, sagte sie. »Aber alles nur
Leute aus dem Ort.« Sie reckte das Kinn vor. »Von denen war’s keiner.«
    Pohl musterte sie. »Stammgäste, also.«
    »Genau.«
    »Und Sie wissen auch noch, wer hier war?«
    »Freilich.«
    »Dann muss ich Sie um eine Liste aller, äh, Dorfbewohner bitten, die
gestern im Jagawirt waren. In der Zeit, als das Stubenmädchen das Zimmer von
Frau Canisius verlassen hat, bis …« Er schaute mich an. »Bis etwa neun Uhr
am Abend.«
    Natürlich hätte der Täter, um keinen Verdacht zu erregen, eine Weile in
der Stube sitzen können. Vielleicht hatte er den Motor meines Landrovers
gehört. Und gewusst, dass es Zeit war, sich für den Überfall in mein Zimmer zu
schleichen. Bis ich meine Jacke und meine Tasche aus dem Wagen geholt hatte und
die Stufen zum Eingang hinaufgestiegen war, konnte er leicht die Treppe in den ersten
Stock hinaufgelaufen sein. Dann musste es ein Mann aus Alpbach sein. Vielleicht
hatte ich ihn schon in meiner Ordination behandelt.
    »Ihnen ist also gestern nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«
    Im ersten Moment merkte ich nicht, dass Pohl mit mir sprach. Dann sagte
ich schnell: »Nein, die Eingangstür ist jetzt nachts immer versperrt. Ich habe
mich total sicher gefühlt. Aber …«
    Ein zaghaftes Klopfen unterbrach mich. Ein blonder Junge im
Volksschulalter steckte den Kopf durch die Tür zur Gaststube. Der kleine
Wagner, mein Patient mit den ständig entzündeten Mandeln. Natürlich sollte er
bis zu seinem Operationstermin nicht in der Kälte herumlaufen.
    »Ja, Maxi«, sagte ich. »Komm rein.«
    Maxi trat in die Stube und steuerte sofort auf mich zu. In den Händen
hielt er eine zerknautschte Papiertüte. Vor dem Tisch blieb er stehen. Er warf
Pohl von unten einen Blick zu, dann streckte er mir dir Tüte entgegen.
    »Für dich«, sagte er. »Der Herr Pfarrer schickt mich.« Frau Wagner hatte
mir erzählt, dass Maxi Ministrant war.
    »Das ist aber nett.« Ich nahm das zerdrückte Geschenk entgegen. In der
Tüte steckte ein Schraubglas. »Was ist es denn? Marmelade?« Ich zog das Glas
hervor und betrachtete den fahlgelben Inhalt. Vielleicht eher Honig.
    »Nein …« Maxi kicherte. »Das ist doch Murmeltierschmalz. Für deinen
Hals. Für da, wo der Mörder dich erwürgt hat.«
    » Was ist das?«
    »Mur-mel-tier«, sagte Maxi. »Der Herr Pfarrer hat’s selbst geschossen.«
Wenigstens schien der gute Mann nicht auf die Heilkraft des Hundes zu setzen.
»Man kann’s auch in der Apotheke kaufen, aber wenn’s vom Pfarrer kommt, hat’s
viel mehr Kraft, sagt meine Oma.« Maxi wandte sich an Pohl. »Sind Sie der Cop?«
    »So ähnlich.« Pohl starrte das Marmeladenglas an, als enthielte es eine
eingelegte Giftschlange.
    »Und? Wissen S’ denn nun schon, wer der Mörder is’?«
    »Wir sind gerade dabei, das herauszufinden.«
    »Maxi?« Hansi deutete zur Küche. »Lauf zur Wetti und sag ihr, sie soll
dir ein paar Krapfen für daheim mitgeben.«
    Maxi riss die Augen auf. Dann breitete er die Arme aus, verwandelte sich
in ein Flugzeug und düste zur Küchentür. Im nächsten Augenblick war er
verschwunden.
    »Murmeltierschmalz.« Pohl schüttelte den Kopf. »Was für ein Zaubermittel
ist das denn?« Dann kniff er die Augen zusammen. »Ich frage mich, woher die
Leute schon von dem Überfall auf Sie wissen.«
    So schnell konnte ich ihm leider nicht die Funktionsweise der Alpbacher
Buschtrommeln erklären, und so hob ich nur meine Brauen. »Wieso Zaubermittel?
Viele Arzneimittel bestehen aus natürlichen Zutaten.« Ich betrachtete sein
faltenloses Gesicht. »Sie wollen gar nicht wissen, was in Ihrer teuren Creme
aus der Parfümerie alles drin ist.«
    Pohl zog die Luft ein. Dann lachte er. »Eins zu null«, sagte er. »Aber
noch einmal zu gestern Abend.« Seine Miene wurde ernst. »Könnten Sie unter den
Gästen, unter den Dorfbewohnern, einen Feind haben?«
    Der Inhalt des Marmeladenglases schimmerte golden im Herbstlicht, das
durch die Holzsprossenfenster fiel. Der Pfarrer hatte sich die Mühe gemacht,
den Deckel mit einem bunten Stoffstück zu verzieren. Es war dunkelblau, mit
Mond und Sternen und erinnerte an einen Winterhimmel. Morgen würde mein
Wartezimmer voll sein. Miranda würde Genesungswünsche und selbst gebrannten
Schnaps entgegennehmen. Hansi neben mir drückte wortlos meine Hand.
    Ich gab mir einen Ruck. »Es war niemand

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