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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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das weitere
Schicksal des Holzknechts wurde nichts berichtet. Der Holzknecht hatte den
Unfall wohl überlebt.
    Im September war derselbe Josef Raudaschl in einen Raufhandel mit
mehreren jungen Männern im Gasthaus Zum Jagawirt verstrickt gewesen, bei dem es
offenbar so wild zugegangen war, dass der Wirt Vinzenz Steiner die Streithähne
vor die Tür setzen musste. Worum gestritten worden war, wurde nicht erwähnt.
Anscheinend war der Alpbacher Leserschaft die Sachlage vertraut.
    Doch in der letzten Oktoberausgabe widmete das »Alpbacher Wochenblatt«
den Geschehnissen auf der Geieralm endlich gleich mehrere Seiten. Der erste
Artikel war am 30. Oktober 1968 erschienen.
     
    Tod auf der
Geieralm
    Wie kurz vor
Redaktionsschluss bekannt wurde, wurden gestern in den frühen Morgenstunden der
Jäger Josef Raudaschl (44) und der Bauer Simon Munz (24) in der Nähe der
Geieralm tot aufgefunden. Wegen des starken Nebels war eine Bergung der Leichen
erst gegen Mittag möglich. Nach Auskunft des Alpbacher Arztes, Dr. Adolf
Mooslechner, wurde Raudaschl in den Abendstunden erschossen, wogegen bei Munz
der Tod infolge eines aufgesetzten Stirnschusses erst wenige Stunden vor seiner
Auffindung eingetreten sei. Mehrere Ortsbewohner wollen letzte Nacht Schüsse
und Rufe gehört haben. Eine Obduktion der Toten wurde laut Gendarmerie
angeordnet. Unsere Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen.
     
    Sorgfältig legte ich die Zeitung auf den bereits
durchgesehenen Stapel und griff nach der Ausgabe vom sechsten November. In
schöner Eintracht waren die Todesanzeigen der beiden Erschossenen nebeneinander
abgedruckt. Die linke war für den Berufsjäger Josef Raudaschl, der Frau und
zwei halbwüchsige Söhne hinterließ und der laut Traueranzeige am 28. Oktober
in Ausübung seines Berufes von Wilderern getötet worden war. Die Beerdigung
hatte bereits stattgefunden. Auf einem Foto waren die Schützenkompanie und
zahlreiche Jäger mit ihren Hunden an einem Grab zu sehen. Neben dem
Landesjägermeister stand, so konnte ich der Bildunterschrift entnehmen, der
Landeshauptmann von Salzburg.
    Die rechte Todesanzeige war dem christlichen Andenken des Simon Munz
gewidmet, gestorben am 29. Oktober. Darunter standen die Zeilen: Es gibt einen gerechten Richter noch, der Herrgott weiß es schon.
Das Gute wiegt das Böse auf, der Himmel wird mein Lohn. Als
einziges Kind hatte er nur seine Eltern Antonia und Gregor Munz hinterlassen.
Seine Beerdigung wurde in der Trauermeldung nicht erwähnt.
    Ich strich mit der Hand über das mürbe Zeitungspapier. Der Jäger Josef
Raudaschl war nach dem Dorfkodex einen ehrenvollen Tod gestorben. Und war
dementsprechend mit allen Ehren verabschiedet worden. Auf den Wilderer und
Selbstmörder Simon Munz hatte sicher nur eine Beerdigung im engsten
Familienkreis gewartet. Aber auch auf dem Kirchhof. Warum? Ehe ich die nächste Ausgabe des Wochenblatts aufschlagen konnte, kam
Wolfgang Leitner zur Tür herein. Er trug ein Tablett, auf dem eine mit einem
Unterteller abgedeckte Keramiktasse neben einer gläsernen Zuckerdose stand.
    »Ich hab mir gerade meinen Nachmittagstee gemacht und dachte, Sie könnten
auch einen vertragen.« Er schob das Tablett neben den Zeitungsstapel auf den
Tisch. »So warm ist es ja hier unten nicht.«
    Erst jetzt spürte ich die Kälte richtig, die von dem nackten Betonboden
ausging. Als ich meine Handflächen aneinanderrieb, fühlten sich meine Hände
eiskalt an. »Das ist wirklich nett von Ihnen.« Ich sah dankbar zu, wie er den
Unterteller von der Tasse nahm und heißer Dampf aufstieg. Ein süßliches Aroma,
das Bilder von Tausendundeiner Nacht heraufbeschwor, erfüllte die kalte Luft
und vertrieb den Geruch nach Staub und Druckerschwärze.
    Leitner beobachtete mich, während ich die ersten Schlucke nahm. Dann
deutete er auf die aufgeschlagene Zeitung. »Interessieren Sie sich etwa für
Todesanzeigen?«
    Der Tee war heiß und wärmte wohltuend mein Inneres. Aber sein scharfer
Nachgeschmack brannte mir auf der Zunge. »Nein, ich habe gerade einen Artikel
über eine Schießerei in den sechziger Jahren gelesen.« Ich blies den Dampf über
meiner Tasse weg. »In Alpbach muss es ja damals zugegangen sein – wie im
Wilden Westen.«
    Leitner lachte. »Meinen S’ die Wildererschlacht auf der Geier-alm?«
Er schüttelte den Kopf. »Das war schon was.«
    »Warum hat sich Simon Munz eigentlich erschossen? Hatte er denn etwas mit
dem Tod dieses …« ich suchte nach dem Namen des Jägers, »dieses

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