Jagablut
Einräumung eines
Wohnrechts aus humanitären Gründen passte nicht zu Vinzenz Steiner. »Sind Sie
denn mit den Stallners irgendwie verwandt?«
»Mit denen?« Ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. »Also, das fehlte
noch. Mit diesem Gesindel. Niemals.« Bei den letzten Worten wurde ihre Stimme
lauter. »Der Stallner Johannes behauptet, er hätte meinem Vater Geld geliehen.
Und weil mein Vater das Geld nicht hätte zurückzahlen können, hätte er ein
Wohnrecht auf Lebenszeit bekommen.« Sie zog die fein gezupften Brauen zusammen.
»Können Sie sich das vorstellen, Frau Dr. Canisius?«
Offenkundig hatte Jacqueline Seywald kein enges Verhältnis zu ihrem Vater
gehabt und wusste wenig über sein Leben. Es konnte gut sein, dass Johannes
Stallner und seine Mutter sich diese Tatsache zunutze machen wollten.
»Ihr Mann hat recht«, meinte ich. »Gehen Sie zum Anwalt und lassen Sie
sich beraten. Wenn Herr Stallner Ihrem Vater Geld geliehen hat, kann er das
sicher beweisen. Zumindest sollte er einen Kontoauszug oder einen Schuldschein über
die geliehene Summe vorweisen können.«
Die Seywald verzog den Mund zu einem Lächeln, aber ihre Augen blickten
hart. »Ach, Frau Doktor, wenn man nur immer so kultivierte Menschen wie Sie als
Dauergäste hätte.« Sie schob die Zettel auf dem Tisch zusammen und steckte das
Bündel unter den Arm. Dann zog sie einen Autoschlüssel aus der Tasche ihres
Trenchcoats. »So, jetzt muss ich aber los.« Sie machte ein paar Schritte zur Eingangstür,
dann blieb sie noch einmal stehen und drehte sich zu mir um. »Ich hoffe, Sie
bleiben noch recht lange als Gast in unserem Haus.« Es war eher eine Frage als
eine Feststellung.
Da ich meine Miete pünktlich im Voraus und per Dauerauftrag zahlte,
konnte ich ihre Sympathie für mich nachvollziehen und versicherte ihr, dass ich
nicht daran dächte, in nächster Zeit aus dem Jagawirt auszuziehen.
Auf Stiefelhacken ging sie über den Steinboden und riss die Eingangstür
auf. Die Laterne übergoss ihre Silhouette mit silbernem Licht, dann
verschluckte sie der Herbstabend, und die Tür fiel mit dem ihr eigenen
trockenen Schnappen ins Schloss.
Ein kalter Wind strich durch die Halle, fuhr dem Auerhahn unters Gefieder
und verlief sich im Gang vor Vinzenz Steiners Tür.
VIERZEHN
Das Alpbacher Heimatmuseum befand sich im ehemaligen
Wachtturm einer mittelalterlichen Ritterburg am Eingang des Tales. Mit seinen
dicken Mauern und dem Holzschindeldach hatte der Turm die Jahrhunderte
unbeschadet überstanden, während vom Rest der Anlage nur Ruinen übrig geblieben
waren. Den Burggraben füllten Laub und Äste, die zerstörte Ringmauer war mit
Efeu überwuchert, und das Wappen über dem Torbogen war unleserlich geworden.
In der Mitte des Burghofes standen die Reste eines Ziehbrunnens. Auf der
einen Seite befand sich das verfallene Haupthaus, aus dem eine mindestens
zweihundert Jahre alte Rotbuche wuchs. Auf der anderen erhob sich der
Wachtturm. Hinter den verglasten Schießscharten brannte an diesem grauen
Samstagmorgen Licht.
Die Temperatur war über Nacht gefallen, und eine neue Schärfe lag in der
Luft. Fröstelnd schob ich die Hände in die Taschen meiner Wachsjacke und ging
auf den Turm zu.
Ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift »Heimatmuseum« prangte über
der gotisch spitzen Eingangstür. Geschmiedete Eisennägel sprenkelten die sich
überlappenden Metallplatten auf dem Türblatt. Neben der Tür war ein
beleuchteter Schaukasten befestigt. Darin hingen ein aufgeklappter
Museumsprospekt und ein grellbuntes Plakat des Alpbacher
Fremdenverkehrsverbands.
Ich wollte gerade meine Hand nach der Türklinke ausstrecken, da hörte ich
ein Rascheln über mir. Ich schaute nach oben. Ein großer schwarzer Vogel hockte
in einer der Schießscharten. Plötzlich traf mich ein Geschoß an der Stirn. Mehr
vor Schreck denn aus Schmerz schrie ich auf. Gleich darauf wurde die Tür
aufgerissen.
»Hat er Ihnen was getan?«
Vor mir stand eine junge Frau in einer bestickten Wolljacke. Sie strich
sich ihr langes schwarzes Haar aus dem Gesicht und starrte mich aus dunklen
Augen an. Sie war auf eine altmodische Weise hübsch. Als hätte mir Dornröschen
in ihrer Burg die Tür geöffnet.
Ich fasste mir vorsichtig an die Stirn, wo sicher bald eine dicke Beule
wachsen würde. »Was war denn das?«
Kleine Grübchen erschienen auf den runden Wangen der jungen Frau, als sie
spitzbübisch lächelte. »Das war der Jackl.« Dornröschen wies mit dem
ausgestreckten Arm nach
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