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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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sie weiß alles. Alle anderen können ihn nämlich
hören, den Simon«, sagte Stallner.
    »Fang nicht ständig damit an«, zischte Frau Stallner. »Wir haben nichts
damit zu tun. Merk dir das endlich.«
    Aber Stallner schenkte ihr keine Beachtung. »Sie sind doch Ärztin, nicht
wahr?«
    »Ja, allerdings.«
    »Dann hätten Sie ihm auch geholfen? Dem Simon? So, wie ihm geholfen
worden is’?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Stallner beugte sich vor. Seine rot unterlaufenen Augen fixierten mich,
und seine Alkoholfahne stach mir in die Nase. »Wovon ich rede?«, flüsterte er.
»Von Mord … Mord .«
    »Alles Lüge!«, kreischte Frau Stallner unter Aufbietung ihrer letzten
Kräfte. »Wir haben nichts damit zu tun.«
    Er lehnte sich im Sessel zurück. »Jetzt is’ eh gleich, wo der alte
Sauhund endlich in der Hölle schmort.«
    Frau Stallner schloss die Augen und drehte das Gesicht zur Wand.
    »Wissen S’, wer der Munz war? Und der Raudaschl?«, fragte Stallner.
    »Ich hab von ihnen gelesen.«
    Er senkte den Kopf und faltete die Hände, als wollte er beten. Anscheinend
suchte er den Anfang der Geschichte. »Der Raudaschl, der Aufsichtsjäger hier in
Alpbach, hat mal einen Wilderer angeschossen. War nur ein Streifschuss, aber
wie er wieder aus dem Spital gekommen is’, da is’ er dem Raudaschl nach ins
Wirtshaus.« Er deutete mit dem Daumen auf den Boden. »Hier in den Jagawirt. Und
hat dem Raudaschl einen Zettel hingelegt. Da hat draufgestanden: ›Für dich ist
die Kugel schon gegossen‹.«
    »Was?« Das war der Spruch, mit dem mich Hansi vor Wochen erschreckt
hatte.
    Stallner schaute mich mit großen Augen an.
    »Ja, und … und weiter?«, fragte ich.
    »Dann hat’s eine Schlägerei gegeben.«
    Ich nickte. Das musste der Raufhandel gewesen sein, von dem ich im Archiv
gelesen hatte.
    »Und dann … dann is’ richtig losgegangen.« Stallner fuhr sich mit
der Hand übers Gesicht. »Zuletzt im Oktober.«
    »Auf der Geieralm«, sagte ich. »Wo Sie und Ihre Mutter die Sennleute
waren.«
    »Ich war erst vierzehn.« Er kniff die Lippen zusammen. Von unten auf dem
Vorplatz konnte man Gelächter hören und das Starten schwerer Motoren.
Anscheinend brachen die Jäger zum Kirchgang auf. »Vieh war keines mehr auf der
Alm. Aber das Wetter war gut, und da sind die Mutter und ich fürs Wochenende
hinauf, um die Hütte winterfest zu machen.« Er wandte sein Gesicht zum Fenster
und lauschte dem leiser werdenden Motorengeräusch. Dann räusperte er sich. »Den
ganzen Abend hab ich die Schüsse gehört. Den Jäger haben ‘s als Ersten
erschossen. Und wie dann der Simon vor der Hütte gelegen is’ …« Er starrte
vor sich hin. »Ich hab das alles von meinem Kammerfenster sehen können. Dabei
war ich doch noch ein Kind.«
    Vom Bett kam ein erstickter Laut. Frau Stallner hatte sich eine Ecke
ihrer Bettdecke vor den Mund gepresst.
    »Er hat einen Steckschuss gehabt, der Simon. Im Rücken. Und immerfort hat
er geschrien … um Hilfe geschrien.« Stallner vergrub sein Gesicht in den
Händen und stöhnte. »Um … um vier Uhr früh … is’ dann noch ein Schuss
gefallen … und die Hilferufe … waren weg.« Er schluchzte. »Am
nächsten Morgen hab ich das Hirn vom Simon auf der Hüttenwand gesehen. Sogar
auf dem Kruzifix.« Seine Schultern zuckten. »Sie haben ihn erschossen, einfach
erschossen, damit er nicht mehr sagen konnte, mit wem er auf der Geieralm war.
Und wer von ihnen den Jäger umgebracht hat.«
    Ich starrte auf den von Weinkrämpfen geschüttelten Mann im Sessel. Draußen
am Gang knarrte der Boden.
    Da nahm Stallner seine Hände vom Gesicht und brüllte: »Verstehen S’
denn nicht? Seine Kameraden haben ihn erschossen. Den Gnadenschuss haben ‘s ihm
gegeben. Seine Kameraden .« Seine
Augen schwammen in Tränen. Flüsternd setzte er hinzu: »Aber die Toten können
einem nichts tun, oder?«
    Von wem sprach er? Von Simon Munz oder Vinzenz Steiner? »Nein«, sagte
ich. »In der Regel nicht.«
    Hatte Simon Munz doch nicht Selbstmord begangen? So ganz konnte ich
Stallner nicht glauben. Immerhin waren die Todesumstände Gegenstand einer
polizeilichen Untersuchung gewesen. Und es lag ein eindeutiges
Obduktionsergebnis vor. Was hatte der verstörte Junge damals wirklich gesehen?
Oder waren das alles nur Hirngespinste eines Alkoholkranken?
    »Herr Stallner«, fragte ich so sanft, wie es mir möglich war. »Wenn Simon
Munz wirklich erschossen worden ist, hatte Vinzenz Steiner dann etwas damit

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