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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Acetongestanks.
Seine Mutter auf dem Sofa begann mir leidzutun.
    »Herr Stallner«, sagte ich, wobei es mir gleich war, ob er in der Lage
war, mir zu folgen, »hier muss was geschehen. Dieses Zimmer wird jetzt geputzt
und gelüftet, sonst wird Ihre Mutter nicht gesund. Verstanden?«
    Ein Rascheln kam vom Sofa herüber. Frau Stallner hatte die Tasse auf die
Bettdecke sinken lassen und hielt sie mit den Händen umklammert. »Is’ alles
gut«, flüsterte sie.
    »Gut?« Ihr Sohn verzog das Gesicht. »Glaubst du vielleicht, die Frau
Doktor sieht nicht, wie’s uns geht?« Er blinzelte mich an. »Oder? Hab ich
recht?«
    Ich würdigte ihn keiner Antwort. Johannes Stallner fuhr sich mit dem
Handrücken unter der Nase entlang.
    »Sie halten mich für einen Säufer, was?«
    »Für was denn sonst?« Ich nickte in Richtung der alten Frau. »Ihre Mutter
ist krank, und Sie sind am helllichten Tag betrunken. Schämen sollten Sie
sich.«
    Johannes Stallners Unterlippe zitterte, als würde er gleich anfangen zu
weinen. »Ich kann doch nichts dafür.«
    »Ihr Selbstmitleid können Sie sich sparen. Ich werde dafür sorgen, dass
Ihre Mutter hier rauskommt.« Ich wusste nicht, wovor ich mich mehr ekelte, vor
dem Betrunkenen oder den Zuständen in diesem Zimmer. »Sie sehen doch, wie’s
hier ausschaut.«
    Stallner schien nach Worten zu suchen. Dann brüllte er: »Weil der alte
Sauhund sich nie um uns gekümmert hat!«
    »Hannes, wenn du nicht gleich ruhig bist …« Frau Stallner wedelte
mit der rechten Hand in meine Richtung. »Gehen S’ doch …«
    Stallner stierte seine Mutter an. »Aber wenn’s doch wahr is’. Wohnen
haben wir hier dürfen, aber sonst nix. Geduldet waren wir, und aus.« Er lehnte
sich im Sessel zurück. Eine ungesunde Röte überzog sein Alkoholikergesicht.
Dann wandte er sich an mich. »Was wird denn so unten in der Stube geredet? Wer
hat den alten Sauhund denn endlich zum Teufel geschickt?«
    »Keine Ahnung. Aber Steiner scheint nicht sehr beliebt gewesen zu sein.«
    »Nicht sehr beliebt.« Sein Lachen klang sarkastisch. »Gehasst haben ‘s
ihn. Alle. Und trotzdem sind ‘s hier versammelt wie die Schmeißfliegen.«
    »Immerhin sind Sie ja auch nicht ausgezogen, auch wenn Ihnen der Wirt
nicht gepasst hat, oder?«
    Stallner beugte sich zu mir herüber. Seine Alkoholfahne schlug mir
entgegen. »Ausgezogen? Ausgezogen, sagen Sie? Wir hätten gar nicht ausziehen
können, so schaut’s aus.«
    »Hannes …«
    »Weil wir nämlich Gefangene hier sind. Gefangene!«
    »Hannes«, keuchte Frau Stallner auf dem Sofa. Die Tasse in ihrer Hand
zitterte so stark, dass ich fürchtete, ihr Inhalt würde sich auf das ohnehin
schon fleckige Oberbett ergießen. »Gib endlich Ruh. Hören S’ nicht auf
ihn, Frau Doktor, er is’ betrunken, und dann redet er wirr.«
    Ich stand auf und nahm ihr die halb leere Tasse aus der Hand. »Wie meinen
Sie das … Gefangene?«
    Stallner deutete mit dem Zeigefinger in meine Richtung. »Genau,
Gefangene. Und das is’ deine Schuld, Mutter, deine allein. Dass das auch mal
gesagt is’.« Er reckte das Kinn vor, aber seine Stimme klang brüchig.
    Frau Stallner stemmte sich in ihren Kissen hoch und rief mit vor
Anstrengung gerötetem Gesicht: »Ja, was hätt ich denn machen sollen, was?«
    »Ein Handel war’s«, schrie ihr Sohn zurück. »Ein Handel mit dem Teufel.«
    »Ach, jetzt auf einmal, nach all den Jahren. Jetzt is’ ein Handel mit dem
Teufel …« Ihre Stimme versagte.
    »Weil der alte Sauhund endlich tot is’.« Stallners Gebrüll musste im
ganzen Stockwerk zu hören sein. Obwohl er das Gesicht schnell wegdrehte, konnte
ich sehen, dass er jetzt wirklich weinte.
    In welches Familiendrama war ich da nur hineingeraten? Ich schaute zu
Frau Stallner hinüber, aber die lag jetzt still in ihren Kissen und ließ ihren
Sohn nicht aus den Augen. Sie machte keine Anstalten, das Wort noch einmal zu
ergreifen.
    Stallner fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich muss einfach
trinken. Aber es hilft nix.« Er schluchzte auf. »Es hilft nix. Nicht gegen das
Schreien und nicht gegen das Weinen.«
    »Ich … höre … nichts«, flüsterte Frau Stallner.
    Eine Almhütte, die Sennleute und ein Schwerverletzter. Er musste vor
Schmerzen gebrüllt haben. »Sie meinen Simon Munz, nicht wahr?« Im Wein lag
Wahrheit.
    Stallner riss die Augen auf und glotzte mich an. Seine Unterlippe
zitterte. »Sie haben von ihm gehört, Sie wissen Bescheid«, stammelte er.
    Ich nickte.
    »Siehst du, Mutter,

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