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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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zu
tun?«
    »Nein.« Frau Stallner auf ihrem Krankenlager wandte sich uns wieder zu.
»Ich weiß, was S’ jetzt denken. Der Steiner hat den Simon erschossen. Und
damit die Sennleut, die armen Schlucker, den Mund halten, hat er ihnen ein
Wohnrecht in seinem Gasthof gegeben.« So ungefähr hatte ich mir das wirklich
zusammengereimt. Allerdings passte die Millionenerbschaft nicht ins Bild. »Aber
so war’s nicht.« Sie presste sich eine Hand auf den Hals.
    Ich schaute ihren Sohn an, doch der hatte das Gesicht wieder in den
Händen vergraben. »Wie war es dann?«
    »Der Steiner«, krächzte Frau Stallner, »der Steiner war dabei. Das schon.
Der hat immer gewildert.« Sie verzog den Mund zu einem bitteren Grinsen. »Wie
sein Vater und sein Großvater auch. Die Steiners haben Jägerblut. Aber den Munz
Simon erschossen, das hat er nicht. Das schwör ich vor meinem Herrgott, vor den
ich bald treten werde.« Sie schloss die Augen. »Und jetzt gehen S’
endlich. Ich will keinen Arzt. Und ich brauch auch keinen mehr.« Ihr Ton war
endgültig.
    Ziemlich erschüttert stand ich auf und murmelte ein paar Abschiedsworte,
die unerwidert blieben.
    Als ich die Tür öffnete, sah ich den alten Wenghofer langsam und auf
seinen Stock gestützt am Ende des Ganges zu seinem Zimmer schlurfen.
     
    In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. Am schwarzen Himmel
hing ein riesiger Vollmond, dessen Schein vom Schnee reflektiert wurde.
Silbernes Licht kroch durch die Ritzen der Fensterläden und die zugezogenen
Vorhänge und tauchte mein Zimmer in mystische Helligkeit. Die Heizung des
Gasthofes lief auf Hochtouren, und die Luft in meinem Zimmer war heiß und
trocken. Nachdem ich mich im Bett stundenlang hin und her gewälzt hatte, stand
ich auf und ging zum Fenster, um ein wenig frischen Wind hereinzulassen.
    Draußen war es taghell. Die Landschaft glich einer Schwarz-Weiß-Fotografie.
Baumschatten, so scharf umrissen wie Scherenschnitte, erhoben sich in allen
Grautönen aus sanften Schneehügeln. Der Fluss glänzte wie nasser Asphalt. Die
Luft war kühl und frisch.
    Etwas bewegte sich am anderen Flussufer. Ich kniff die Augen zusammen, um
besser sehen zu können. Eine menschliche Silhouette tauchte kurz am schwarzen
Waldrand auf, dann war sie auch schon zwischen den Tannen verschwunden. Diesmal
hatte ich mich nicht getäuscht. Ich hatte eine hell gekleidete Person gesehen.
War es Hansi gewesen? Woher war sie gekommen? Ich beugte mich aus dem Fenster.
Der Schnee war unberührt. Es gab keine Fußspuren, die vom Gasthof wegführten.
    Ich starrte in die leuchtende Winterlandschaft. Die Kälte bemächtigte
sich meiner Glieder, und eine Gänsehaut kroch über meinen Rücken. Rasch schloss
ich die Fensterflügel. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder Hansi geisterte
im Wald herum, dann musste ich sofort Hilfe holen. Oder sie lag wohlbehalten in
ihrem Bett, dann konnte ich den Nachtwanderer, wer immer es war, guten
Gewissens sich selbst überlassen. Ich warf mir meinen Morgenmantel über und
machte mich auf den Weg in den zweiten Stock.
    Unter Hansis Zimmertür schimmerte Licht.
    Ich klopfte an, erhielt aber keine Antwort. »Hansi?« Vorsichtig drückte
ich die Klinke hinunter. »Hansi?«
    Das Zimmer wurde nur vom schwachen Schein der Nachttischlampe erhellt.
Hansi saß auf ihrem Bett und wandte mir ihr überraschtes Gesicht zu. Sie trug
den spitzenbesetzten weißen Morgenmantel, und auf ihrem Schoß lagen der leere
Stickrahmen und das offenbar fertig gestickte Totentuch für ihren Bruder. Neben
ihr stand eine offene Holzkassette, und um sie herum waren Schwarz-Weiß-Fotos
auf der Bettdecke verstreut. Zwei Bilder lagen auf dem Boden. Ich war
erleichtert, wenn auch etwas verlegen.
    »Entschuldigen Sie den nächtlichen Überfall. Ich … ich wollte nur
sehen, ob es Ihnen gut geht.« Ihre Pupillen waren in dem schwachen Licht
erweitert, sodass ihre Augen nicht silbern, sondern schwarz wirkten. In diesem
Moment sah sie ihrem Bruder so ähnlich, dass Vinzenz Steiner mich anzustarren
schien. »Da war wieder diese Silhouette draußen … und … na ja, ich
dachte, Sie hätten sich vielleicht noch zu einem Spaziergang entschlossen.« Wer
war hier verrückt?
    Auf Hansis Gesicht erschien ein amüsiertes Lächeln. »Und da meinen S’,
Sie hätten mich gesehen? Draußen? Mitten in der Nacht?« Ihre Stimme klang
nachsichtig. »Wo soll denn diese … Silhouette gewesen sein?«
    »Am Waldrand«, sagte ich ein wenig hilflos. »Genau wie das letzte Mal.
Und

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