Jagablut
wenn S’ meinen«, sagte sie nur. »Das Pack soll man eigentlich
nicht verwöhnen.«
Die beiden Räume, die die Stallners bewohnten, konnten nicht
die besten im ganzen Gasthof sein, auch wenn Jacqueline Seywald das behauptet
hatte. In Anbetracht meines eigenen sauberen Zimmers gelang es mir nur mit
Mühe, meine Überraschung zu verbergen, als ich das Heim der Stallners nach
einem gekrächzten »Herein« betrat. Dieses Zimmer war ungelüftet, unaufgeräumt,
ja verwohnt. Aber hier schien sich das Familienleben von Mutter und Sohn
abzuspielen.
Auf dem Sofa einer Sitzgarnitur aus den Sechzigern lag die alte Frau
Stallner. Kissen stützten ihren Rücken, sodass sie in ihrem provisorischen Bett
fast saß, was ihr wohl das Atmen erleichtern sollte. Auf dem Couchtisch aus
Holzimitat standen halb volle Teetassen, Wassergläser mit Kalkrändern und mit
Essensresten verklebte Teller. Dazwischen lagen Tablettenschachteln und
benutzte Papiertaschentücher.
Obwohl hinter den staubigen Gardinen ein Wintermorgen wie aus dem
Bilderbuch strahlte, war eine Stehlampe neben dem Sofa eingeschaltet. Eine
schwache Glühlampe warf ihr müdes Licht durch ein Brandloch in dem vergilbten
Lampenschirm.
Ein Rollstuhl stand mit Blickrichtung auf einen klobigen Fernseher am
anderen Ende des Zimmers. Darin hing, den Kopf auf der Brust und laut
schnarchend, Johannes Stallner. Es roch nach Arznei und Aceton.
Die Putzfrau hatte offenbar seit Wochen keinen Fuß in dieses Zimmer
gesetzt. Vielleicht hatte Jacqueline Seywald recht und ihr Vater hatte den
Betrieb des Gasthofes zum Schluss vernachlässigt und das Personal nicht mehr
genügend beaufsichtigt. Frau Stallner beobachtete mich, als ich mir, das
Teetablett in den Händen, das ganze Chaos betrachtete.
»Guten Morgen, Frau Stallner.« Ich schob das Tablett mit dem Salbeitee
zwischen all die unappetitlichen Dinge auf dem Tisch. »Ich bin Ärztin.«
Frau Stallner nickte wortlos. Anscheinend hatte sie bereits von mir
gehört.
»Ich wollte mal nach Ihnen sehen. Wie geht’s Ihnen denn?«
»Geht schon.« Sie presste ihre verkrüppelte Hand an den Hals. »Angina.
Hab ich immer um die Zeit.«
»Hören Sie«, sagte ich, »ich schaue schnell, wo die Putzfrau ist, und
dann soll sie hier erst mal aufräumen.«
»Nein.« Frau Stallner schüttelte den Kopf auf dem schmierigen Kissen.
»Lassen S’ das.«
»Warum denn nicht?«
»Das is’ nicht ihre Arbeit.«
»Was … nicht die Arbeit der Putzfrau?«
Sie schüttelte wieder den Kopf.
»Sie haben doch ein Recht auf ein geputztes und aufgeräumtes Zimmer. Noch
dazu, wenn Sie hier Dauermieter sind. Das wäre ja noch schöner.«
»Nein«, krächzte sie. »Ich will das nicht.«
Was sollte man dazu sagen? Vor mir lag eine alte Frau, die eine
Millionenerbschaft gemacht hatte, sich den ständigen Wohnsitz in einem Gasthof
leisten konnte und dann die Annehmlichkeiten eines solchen Lebens gar nicht in
Anspruch nahm. Ich hatte weder sie noch ihren Sohn je in der Stube essen sehen.
Waren die beiden so geizig? Aus dem Rollstuhl kam ein lang gezogenes Stöhnen.
Die Stimme seiner Mutter hatte Johannes Stallner wohl im Schlaf gestört.
Ich goss etwas von dem streng riechenden Salbeitee in die Tasse und
reichte sie Frau Stallner. Dann setzte ich mich auf die Kante eines Sessels,
dessen Bezug einmal weinrot gewesen sein musste. Frau Stallner nippte nur an
ihrem Tee und verzog dabei den Mund. Sie hatte eindeutig Schluckbeschwerden.
Ihre Augen glänzten.
»Seit wann sind Sie denn schon krank? Haben Sie Fieber? Wer ist denn Ihr
Hausarzt?«
Frau Stallner wollte gerade die Tasse wieder zum Mund führen, doch bei
meinen Worten stockte sie in der Bewegung und warf mir einen misstrauischen
Blick zu. »Ich brauch keinen Arzt. Ich will auch keinen.«
Mit einem letzten lauten Schnarcher erwachte ihr Sohn. Er hob den Kopf
von der Brust und starrte zu uns herüber. Offenbar hatte er Schwierigkeiten,
mich zu erkennen. Ich dachte schon, er würde gleich wieder einschlafen. Doch
Johannes Stallner setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar,
wobei er herzhaft gähnte.
»Morgen, Herr Stallner.«
»Wie … spät … isses … denn …?«
»Gegen zehn Uhr.«
Stallner stemmte sich aus seinem Rollstuhl hoch und machte ein paar
schwankende Schritte auf mich zu. Dann schienen ihn die Kräfte wieder zu
verlassen, und er ließ sich einfach in den zweiten Sessel fallen. Sein Gesicht
war seit Tagen unrasiert, und natürlich war er die Quelle des
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