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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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der Ferne auf der
Kirchturmspitze. Die Sonne strahlte von einem kalten Himmel und verwandelte das
ganze Tal in eine gleißende Winterlandschaft.
    Vor dem Gasthof parkten ungewöhnlich viele Geländewagen, teilweise mit
dicken Schneehauben auf dem Dach und Ketten auf den Stollenreifen. Zwei braune
Jagdhunde, die im Kofferraum eines Landcruisers saßen, bellten mich durch die
beschlagene Heckscheibe wütend an. Sofort stimmten mehrere ihrer schlappohrigen
Kollegen in anderen Autos in das Gekläff ein.
    Quer hinter dem Landcruiser stand ein knallroter Traktor. Die eckige
Karosserie und das hoch aufragende Auspuffrohr sagten sogar mir, dass es sich
dabei um einen Oldtimer handelte. Neugierig stieg ich die Stufen hinab, um mir
das alte Stück aus der Nähe anzusehen. Je näher ich dem Traktor kam, desto
lauter tobten die Hunde.
    Ein hölzerner Zugschlitten, wie ich ihn gestern noch im Heimatmuseum
gesehen hatte, war an der Anhängerkupplung befestigt. Und auf dem Schlitten
lag, auf einem Bett aus Tannenzweigen, ein gewaltiger Hirsch. Sein Kopf mit dem
ausladenden Geweih war nach hinten gebogen, und in seinem Maul steckte ein
Tannenzweig. Eine feine Schneeschicht bedeckte sein dichtes Fell und verschleierte
die halb geschlossenen Augen. Ich stapfte zu den Eingangsstufen zurück. Die
Sonne malte blaue und goldene Kringel in die Spuren im Schnee. Auf der eisernen
Türklinke schmolzen Eiskristalle.
    Die Stube war berstend voll. An allen Tischen saßen frisch rasierte
Männer in gestärkten Hemden mit Hirschhornknöpfen und grauen Trachtenjoppen.
Eine Mischung aus Aufregung und froher Erwartung lag in der Luft. Auf den
Tischen standen Kaffeetassen und das eine oder andere halb volle Seidl Bier.
Aus so mancher Seitentasche einer Lederbundhose ragte der Horngriff eines
Jagdmessers.
    Ich kämpfte mich zu einem freien Platz am Ofen durch, wobei ich immer
grüßte, wenn ich einen Patienten erkannte. Wetti machte mir über die Köpfe
hinweg ein Zeichen, dass sie mir mein Frühstück bringen würde. Ich ließ mich
auf die Bank fallen. Am Nachbartisch saßen der Pfarrer, Matthias Holzinger und
ein jüngerer Mann. Holzinger hob sein Bierglas an die Lippen und trank ein paar
hastige Schlucke. Dann setzte er das Glas ab und schob es auf dem Tisch hin und
her.
    »Was ist denn los?«, fragte ich Wetti, als sie mein Frühstückstablett vor
mir absetzte. »Wird was gefeiert?«
    »Hubertusmesse«, sagte sie. »Am letzten Sonntag im Oktober is’ bei uns
auch Kirchgang für die Mannsbilder, die die Kirche das ganze Jahr nicht von
innen sehen.« Sie legte schnell die Hand auf den Mund und drehte sich zum
Pfarrer um, aber der hatte sie gar nicht gehört. »Da wird gemeinsam der
Verstorbenen vom letzten Jahr gedacht und um Schutz für die Jäger im nächsten
Jagdjahr gebetet. Dann spricht der Herr Pfarrer seinen Segen, und die
Jagdhornbläser sind auch dabei.« Sie deutete auf die Garderobe, an deren Haken
runde Lederfutterale hingen. »Jetzt geht’s erst in die Kirche, und nachher
gibt’s dann bei uns noch ein Wildgulasch.«
    Ich schnitt eine Semmel auf und musterte das Glasschälchen mit der
Marmelade. »Vor dem Haus liegt ein toter Hirsch.« Dicke Sauerkirschen glänzten
in Gelee. Ich tropfte Honig auf die Semmel.
    »Den hat heuer der Herr Pfarrer erlegt«, sagte Wetti mit einem stolzen
Unterton. »Fürs Altersheim.«
    »Ach ja, der Pfarrer schießt ja auch.« Das Murmeltierschmalz hatte
wirklich geholfen.
    »Freilich, wozu hätte er sonst die Gemeindejagd mitgepachtet?« Wetti nahm
ihr Tablett wieder auf. »Essen S’ in Ruhe Ihr Frühstück, ich muss weiter.«
Sie hielt noch einmal inne. »Da fällt mir ein – haben S’ den Stallner
Johannes heute schon gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, warum?«
    »Ach nix.« Wetti zögerte. »Es is’ nur, weil er is’ heute nicht um den
Salbeitee für seine Mutter gekommen.« Sie verzog den Mund. »Wahrscheinlich is’
er noch blau von gestern. Wird langsam zur Gewohnheit bei dem.«
    Das war geradezu eine Fügung des Schicksals. »Soll ich mal nach der alten
Dame sehen?«
    »Nein, das is’ gar nicht nötig.« Sie winkte ab. »Der Küchenchef hat nur
gesagt, dass der Tee bestellt is’ und jetzt in der Küche kalt wird.«
    »Natürlich ist das nötig«, sagte ich mit angemessen professioneller
Entrüstung in der Stimme. »Wenn die alte Dame krank ist, braucht sie
wahrscheinlich mehr als einen Tee. Bringen Sie mir die Kanne, ich nehme sie
gleich nach dem Frühstück mit hinauf.«
    »Ja,

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