Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
Vom Netzwerk:
nehmen. Aber hatte sie nicht ein Recht auf die Wahrheit?
    Ich räusperte mich. »Georg Kaml ist der Mörder.«
    Unten vor dem Gasthof hielten mehrere Autos. Türen schlugen. Ein Hund
jaulte. Schwere Stiefel trampelten auf den Eingangsstufen, um den Schnee unter
den Profilsohlen abzuklopfen. Ich konnte Viktors fragende Stimme hören, und
bedauernde Antworten. Offenbar hatten die Männer endlich den verletzten
Suchhund gebracht. Dann fiel die Eingangstür krachend ins Schloss.
Motorengeräusch war zu vernehmen und entfernte sich. Dann war wieder alles
still.
    Ich schaute zu Hansi hinüber. Sie starrte mich so unverhohlen an, dass
sich mein Körper unwillkürlich anspannte.
    »So?«, fragte sie. »Glauben S’, dass der Schorsch den Simon
erschossen hat?«
    Ich schluckte. »Steht das denn nicht hier?«
    Hansi betrachtete das Papier in meiner Hand. »Der Schorsch kann
schreiben, was er will. Nie und nimmer hat der meinen Simon auf dem Gewissen.
Das hab ich gleich gewusst, wie ich den Zettel da gefunden hab.«
    Ich brauchte nicht nach dem Fundort zu fragen. Sicher hatte das
verräterische Papier neben der Mordwaffe unter der Treppe gelegen.
    »Als der Vinzenz den Schorsch letztes Jahr ins Haus geholt hat, da hab
ich gewusst, dass es endlich so weit is’. Ich hab nur noch einen Beweis
gebraucht.« Sie hob das Kinn und lächelte sanft. Ihre glatte Haut spannte sich
über den Gesichtsknochen. Auf einmal wirkte sie jung. Vielleicht hätte sie auf
ihrem Hochzeitsfoto so ausgesehen. »Waren nicht umsonst, all die Jahre …
aber Gott ist gerecht.« In meinem Nacken kribbelte es, als wollten sich meine
Haare gegen jedes Naturgesetz sträuben. »Der Vinzenz hat seine Strafe
verdient.«
    »Sie meinen den … Schorsch.«
    Jetzt lachte sie. »Sie sind ein dummes Mädel, das hab ich gleich gesehen.
Glauben S’ vielleicht, der Schorsch hätt sich ohne Erlaubnis von meinem
Herrn Bruder auch nur den Hintern abgewischt?« Sie schüttelte den Kopf, als
empfände sie Mitleid mit mir und meiner Beschränktheit. In ihren Augen war ich
wirklich nichts anderes als ein dummes Mädel.
    Und auf einmal begriff ich. Die Steiners haben
Jägerblut. Das galt auch für Johanna Steiner. Jahrzehntelang hatte sie
im Gasthof die alte Jungfer gespielt. Immer den Bruder vor Augen, den sie von
Anfang an des Mordes an ihrem Geliebten verdächtigt hatte. Sie hatte Krapfen
für den Kirchenbasar gebacken und für die Waisenkinder in Rumänien gestrickt.
Und dabei gewartet und gelauert wie eine jagende Katze vor dem Mauseloch. Es
war nur eine Frage der Zeit gewesen. Und als sie endlich den Beweis in Händen
hielt, war das Schicksal ihres Bruders besiegelt. Nein, Hansi hatte kein
Unrechtsbewusstsein, denn in ihrem Sinn hatte sie nur Gerechtigkeit geübt.
    »Sie haben Ihren Bruder erschlagen.« Meine Stimme klang rau. »Nicht wahr?
Sie waren das … mit der Trophäe. Das war doch die Gams, die Simon
geschossen hatte, stimmt’s?«
    Viktor und ich waren über einen umgefallenen Stuhl gestolpert, als wir
die Leiche des Wirtes gefunden hatten. Hansi musste ihn benutzt haben, als sie
den ausgestopften Kopf von der Wand nahm. Natürlich war sie zu klein und zu
schwach, um mit ihrem Bruder fertigzuwerden. Aber Georg Kaml, der unglückliche
Mörder, hatte ja bereits die Vorarbeit geleistet. Vinzenz Steiner hatte blutend
auf dem Boden gelegen. Laut Obduktionsbefund war er an dem Schlag auf den Kopf
gestorben. Hatte Hansi gewusst, dass er noch lebte?
    »Deswegen haben Sie auch den Gamskopf auf dem Gesicht Ihres Bruders
liegen lassen«, fuhr ich fort. »Alle Welt sollte wissen, warum er sterben
musste.«
    Hansi hatte sich abgewandt. Ihr weißes Haar schimmerte silbern im
leuchtenden Schneelicht. Sie betrachtete das gestickte Totentuch an der Wand.
Die Porträtaufnahme von Simon Munz war kaum zu erkennen, doch sie hatte sein
Lächeln auf diesem Foto sicher so oft angesehen, dass es sich ihr für immer
eingebrannt hatte. Sie brauchte kein Abbild seiner Gesichtszüge mehr, um ihn
vor sich zu sehen.
    Ich dachte an den Nachmittag, an dem sie mir die Stickarbeit in der Stube
gezeigt und mir dabei die ängstliche alte Frau vorgespielt hatte. Es gibt noch einen geheimen Zugang zum Gasthof . Geschickt
hatte sie mir den Weg gezeigt, auf dem sich ein Eindringling von außen Zutritt
verschafft haben konnte. Sie hatte gewusst, dass ich mit meinem Forscherdrang
der Versuchung, dem Rätsel auf die Spur zu kommen, nicht hatte widerstehen
können. Warum sehen Sie nicht selber nach? Ich

Weitere Kostenlose Bücher