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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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durchnässte Bluse war stellenweise
gefroren und bedeckte wie ein silberner Panzer ihren Körper.
    »Erwischt.« Sie grinste mich an.
    Ich bewegte die Beine und wollte mich schon aufrappeln, als mich ein
weiterer Hieb auf die Schulter erneut zu Boden streckte.
    »Reingefallen«, sagte Hansi. »Hab ja gewusst, dass du mir nachrennst.
Blöd genug bist du ja.« Sie kicherte. »Bist eh weit gekommen, Hut ab. Aber
zurück geh ich allein, dass das auch klar is’.« Sie ließ ihren Blick prüfend
über mich wandern. »Zieh den Pullover aus. Und die Schuhe auch.«
    »Was?« Ich rieb mir die schmerzende Schulter. »Was soll das? Es ist doch
viel zu kalt …« Der Schlag, der meinen linken Oberarm traf, brach mir den
Knochen. Ich brüllte um mein Leben und versuchte, auf die Beine zu kommen.
    Graziös wie eine alte Dame, die hin und wieder noch eine Partie Tennis
spielt, holte Hansi aus und ließ ihre Keule mit beiden Händen gegen meinen Kopf
krachen. Sie wollte wohl meine Schläfe treffen, doch der Ast rutschte ab und
der Schlag landete auf meinem Wangenknochen. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich
rang nach Atem. Widerstandslos streckte ich mich am Boden aus. Ich konnte mich
nicht rühren, aber ich kämpfte mit aller Kraft gegen die drohende Ohnmacht. In
meinem Arm wühlte der Schmerz. Die Kälte kroch von unten durch den dünnen Stoff
meines Jogginganzugs. Wenn Hansi mich verletzt zurückließ, waren meine
Aussichten denkbar schlecht, bei den niedrigen Temperaturen auch nur die
nächsten Stunden zu überleben.
    Ich spürte, wie sie sich an den Schnürsenkeln meiner Laufschuhe zu
schaffen machte. Kein Zweifel, sie wollte mich umbringen. Mühsam öffnete ich
die Augen. Hansi hockte wie ein weißer Troll zu meinen Füßen und war ganz in
ihre Aufgabe vertieft. Da gab die Schleiereule über uns einen warnenden Schrei
von sich. Hansi hob den Kopf. Wie ein Tier, das eine Gefahr ortet, drehte sie
ihr Gesicht in verschiedene Richtungen. Die Eule stieß sich von dem toten Ast
ab, drehte mit weit ausgebreiteten Schwingen ein paar Runden über uns und
verschwand dann über den Tannenwipfeln. Als ich den Blick wieder zu Hansi
wandte, war sie weg. Vor Kälte und Angst zitterte ich und war trotzdem wie
gelähmt. Ich hatte verloren.
    Es hatte aufgehört zu schneien, dafür war die Temperatur gefallen. Die
nassen Stofffalten meines dünnen Anzugs wurden kalt und steif. Bald würde ich
in einem Eispanzer stecken. Ich stützte mich auf meinen rechten Ellenbogen und
versuchte, mich hochzustemmen. Ein Feuerstoß fuhr durch meinen gebrochenen Arm,
ich schrie auf und sank in den Schnee zurück. Die Stelle zwischen meinen
Schulterblättern, wo mich der zweite Schlag getroffen hatte, pochte vor
Schmerz. Meine Füße spürte ich nicht mehr.
    Es war totenstill. Die Tannen um mich herum waren warm eingehüllt in ihre
dicken Schneemäntel. Sie schienen auf mich herabzusehen wie auf ein Kind in
seiner Wiege. Der Berggipfel verbarg sich hinter grauen Schleiern. Dort oben
tobte noch der Wintersturm. Aber hier, auf meiner Lichtung, war alles ruhig und
friedlich.
    Der Schnee schien mir warm und weich und verlockend. Warum sollte ich
mich noch quälen? Wenn ich mir eine Ruhepause gönnte, ein kurzes Nickerchen
nur, dann wäre ich sicher wieder stark genug für den Abstieg. Das Tageslicht
wurde schwächer, bald brach die Dämmerung herein. Meine Glieder waren schwer
wie Blei. Ich blieb liegen. Nach und nach ebbte der Schmerz in meinem Körper ab,
bis er ganz verschwunden war. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus,
und ich dämmerte davon.
    Über mir knirschte der Schnee. Hansi. Unter
Aufbietung meines ganzen Willens schlug ich die Augen auf und drehte den Kopf
zum Hang. Unter den Tannen konnte ich eine Bewegung erkennen. Die helle
Silhouette eines Menschen löste sich aus dem Baumschatten und stieg ruhig und
stetig zu mir herab. Zweimal hatte ich diese Gestalt von meinem Fenster aus
gesehen. Ich wusste, wer es war. Wer heute Nacht
stirbt, der muss mit der Weißen Frau gehen. Die Weiße Frau war gekommen, um
mich zu holen. So sah also der Tod aus.
    Doch die Gestalt, die so entschlossen auf mich zustapfte, war keine
körperlose Frau, sondern ein kräftiger Mann. In der rechten Hand hielt er einen
Bergstecken, mit dem er seine Schritte sicherte. Direkt neben mir blieb er
stehen.
    »Um Gottes willen, was is’ denn Ihnen passiert?« Der Mann ließ seinen
Stock in den Schnee fallen und kniete sich neben mich. Er trug eine hellgraue
Lodenjacke mit

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