Jagd auf Mrs. Pollifax
hätte sie gern selbst geglaubt, aber sie wußte natürlich, daß es nicht stimmen konnte, denn erst vor einer Stunde hatte sie sich ein Sandwich mit der jetzt verschwundenen Salami gemacht.
Sehr widerstrebend beschäftigte sie sich mit der einzigen logischen Erklärung, die ihr allerdings absolut nicht gefiel: Sie befand sich nicht allein im Haus. Außer ihr war noch jemand hier. Jetzt in diesem Augenblick. Und er hatte sich hier irgendwo versteckt!
2
Mrs. Pollifax blieb reglos stehen und lauschte. Die Gewißheit, daß jemand diese Stille mit ihr teilte, die bis vor wenigen Minuten freundlich und wohltuend gewesen war und die ihr jetzt bedrohlich vorkam, schärfte ihre Sinne. Sorgfältig überlegte sie, welche Mittel ihr hier zur Verfügung standen: eine Taschenlampe, mit der sie in dunkle Schränke leuchten konnte, der Schürhaken vom Kamin - und ihre Ausbildung in Karate. Den Gedanken, die Polizei anzurufen, verwarf sie sofort, da der Einbrecher in dieser Stille das Gespräch mit anhören könnte. Ihr war völlig klar, daß ihn das aus seinem Versteck locken und er sie überfallen könnte, wenn sie nicht darauf vorbereitet war. Zu riskant, sagte sie sich. Mit Schürhaken und Taschenlampe bewaffnet, schlich sie auf Zehenspitzen die Treppe ins obere Stockwerk hinauf.
Sie öffnete die Schränke im Schlafzimmer, in Cyrus' Arbeitszimmer, dem Gästezimmer und die paar auf dem Korridor. Dann kletterte sie eine Stiege hinauf, öffnete die Falltür zum niedrigen Dachboden und leuchtete in alle dunklen Winkel, fand jedoch keine Menschenseele. Verwundert stahl sie sich die Treppe wieder hinunter, um ihre Suche fortzusetzen, doch auch im Parterre hatte sich niemand in irgendeinem Schrank versteckt. Sie wollte die Suche gerade aufgeben und doch die Polizei rufen, als ihr die Rumpelkammer am Ende des Korridors einfiel, gleich neben der Garage. Dort mußte der Einbrecher sein. Zögernd näherte sie sich der Tür, hielt kurz davor an, holte tief Atem und riß sie auf.
Ihre Taschenlampe schien auf den Rasenmäher, auf Cyrus' alten Koffer, einen Rattanvogelkäfig, einen Stapel ausrangierter Vorhänge - und auf vier leere Ölsardinendosen!
»Oh, bitte nicht!« flüsterte eine verängstigte Stimme. Mrs. Pollifax leuchtete in die hintere Ecke und das Licht fiel auf ein Mädchen, das dort kauerte und sie furchtsam anstarrte. »Bitte«, flüsterte das Mädchen aufs neue und schirmte die Augen vor dem Schein der Taschenlampe ab. Kein bewaffneter Einbrecher... Mrs. Pollifax atmete erleichtert auf.
»Was in aller Welt... Ich meine, was in aller Welt machen
Sie hier? In meinem Haus?«
»M-mich verstecken«, stammelte das Mädchen.
»Offensichtlich«, sagte Mrs. Pollifax trocken, »aber wer sind
Sie? Kommen Sie jetzt lieber heraus und erzählen mir, worum es geht.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Bitte, noch nicht, man könnte mich sehen!«
»Sie sehen? Wer?«
»Als Sie heute früh zum Flughafen fuhren ...«
»Flughafen?« wiederholte Mrs. Pollifax bestürzt. »Sie waren heute morgen schon hier? Wie lange verstecken Sie sich bereits in dieser Rumpelkammer?«
»Z-zwei Tage, g-glaube ich«, stammelte das Mädchen. »Zumindest war es Montag, Sie und Ihr Mann arbeiteten im Garten, und Sie hatten die Tür an der Seite offenlassen, und so
- es tut mir leid - habe ich mich hineingestohlen.«
»Die ganze Zeit!« staunte Mrs. Pollifax. »Aber vor wem verstecken Sie sich denn? Ihren Eltern? Der Polizei?«
»Vor ihnen!« antwortete das Mädchen. »Als Sie heute morgen zum Flughafen weggefahren waren, hörte ich einen Wagen in der Einfahrt, der Kies knirschte. Ich glaube, sie haben durch alle Fenster hereingeschaut.«
Ein Wagen. Das Mädchen fürchtete sich vor einem Wagen. »Kommen Sie heraus!« befahl Mrs. Pollifax. »Es ist nicht so erhebend, hier herumzustehen und in eine vollgestopfte Rumpelkammer zu reden. Außerdem gibt es an diesem Ende des Korridors kein Licht. Ich möchte wissen, ob Ihr Versteckspielen etwas mit einem ziemlich heruntergekommenen weißen Lieferwagen zu tun hat. Einem mit der Aufschrift Chigi-Schrot...»
»Sie haben ihn gesehen?« keuchte das Mädchen. »Er ist immer noch hier? Sie suchen mich immer noch hier? Woher wußten Sie ...?«
Mrs. Pollifax antwortete ruhig: »Weil mir aufgefallen ist, daß er gestern dreimal am Haus vorbeigefahren ist und heute morgen wieder. Und als ich auf der Veranda saß - das war, während Sie sich das Brot und die Salami holten -, stand er am Weg zum Wald.«
Das Mädchen starrte
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