Jagdhunde (German Edition)
einem Bericht über eine ärztliche Untersuchung.
Die Namensliste wurde länger. Sie umfasste pensionierte Polizeibeamte und darüber hinaus Ermittler, die die Abteilung verlassen und sich neue Jobs in der Privatwirtschaft gesucht hatten oder von der Sektion für Wirtschaftskriminalität oder der Osloer Kripo übernommen worden waren. Nils Hammer war der Einzige, der noch immer in der Fahndungsabteilung tätig war.
Wisting ließ den Blick aufmerksam über die Liste gleiten. Es waren alles erfahrene, tüchtige und rechtschaffene Menschen. Viele von ihnen waren ihm und den ihm anvertrauten Kollegen, wie zum Beispiel Frank Robbek, gute Lehrmeister gewesen.
Jedes Mal wenn er auf einen Namen stieß, markierte er ihn mit einem vertikalen Strich rechts daneben auf dem Notizblock. Ein Name stach hervor. Nils Hammer. Die Zahlen sprachen für sich. In den Dokumenten fanden sich dreiundzwanzig Berührungspunkte zwischen Nils Hammer und Rudolf Haglund. Der nächste auf der Liste war er selbst mit siebzehn Begegnungen, gefolgt von Finn Haber mit zwölf.
Die Übersichtsliste machte Wisting nachdenklich. Er lehnte sich zurück und blickte aus dem Fenster. Draußen war der Himmel noch dunkler geworden. Ein Lastschiff war auf dem Weg nach Westen.
Wisting vertraute Nils Hammer. Er hatte nach Frank Robbeks Weggang dessen Platz eingenommen. Durch Hammer hatte sich im Team der Ermittler ein ganz eigenes Gefühl der Sicherheit eingestellt. Als Fahndungsleiter konnte sich Wisting immer darauf verlassen, dass die von ihm erteilten Aufgaben schnellstmöglich ausgeführt wurden. Allerdings war Hammer kein Freund von Formalitäten. Ein Teil seiner Stärke beruhte auf der Fähigkeit, Abkürzungen im Gewirr der Strafprozessordnung zu finden, und im Zuge der Ermittlungsarbeit konnte er manchmal überaus kreativ werden.
Ungeachtet dessen war die vor Wisting liegende Aufzählung der Kontakte nicht mehr als Statistik. Sie konnte auf verschiedene Weise gelesen werden. Genauso gut konnte das Resultat nur ein Ausdruck von Hammers Engagement und seiner Bereitschaft zur Übernahme von Aufgaben sein.
Wisting klickte wieder ein paarmal mit dem Kugelschreiber und strich dann die komplette Liste durch. Er musste einen anderen Weg finden, doch wusste vorerst nicht, welchen.
26
Gegen zwei hörte es auf zu regnen, doch die tief liegende Wolkendecke hielt sich. Weiße Schaumkronen spielten auf dem schiefergrauen Meer. Wisting nahm das Telefon mit hinaus auf die Veranda. Von den Bäumen tropfte es. Irgendwo zwitscherte ein Vogel.
Die Liste der unbeantworteten Anrufe war lang. Zwei Mal hatte sein Vater angerufen, dann gab es ein paar unbekannte Nummern, die sicher zu verschiedenen Zeitungsredaktionen gehörten, die versucht hatten, ihn zu erreichen. Ungefähr in der Mitte der Liste tauchte der Name von Nils Hammer auf. Er hatte eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Wisting wurde neugierig und spielte sie ab. Es konnte sich vielleicht um Neuigkeiten über das verschwundene Mädchen handeln. Die Sache, die unter dem Namen Linnea-Fall geführt werden würde, wenn das Mädchen nicht wieder auftauchte.
Die Nachricht war kurz. Hammer wollte Wisting nur wissen lassen, dass er da war, falls es irgendetwas gab. Darüber hinaus hatte er mit einem Gewerkschaftsvertreter gesprochen, der die Kostenübernahme für einen Rechtsbeistand versprach, falls Wisting diesen benötigte.
Wisting löschte die Nachricht und rief seinen Vater an, der nicht verbergen konnte, wie aufgeregt er war. Der alte Mann sprach schnell und seine Stimme wurde im Laufe des Gesprächs bedenklich lauter.
»Ich wusste ja, dass es übel enden würde, aber das hätte ich dann doch nicht erwartet«, wetterte er. »Das ist ja der reinste Schandpfahl! Vorverurteilung. Und dieser Audun Vetti«, fauchte er geradezu und verstummte dann, so als wüsste er nicht, was er über den amtierenden Polizeichef sagen sollte. »Seine Kommentare sind ja wie ein Plädoyer vor Gericht!«
Während Wisting mit seinem Vater sprach, blickte er von der Veranda auf die über den Tisch verteilten Falldokumente. Er brauchte ein wenig Zeit, um den Hintergrund der Zeitungsschlagzeilen zu erläutern und zu erklären, dass irgendjemand tatsächlich die Beweise gegen Rudolf Haglund manipuliert hatte. Doch er musste seinem Vater nicht sagen, dass es sich dabei nicht um ihn handelte.
Nachdem er geendet hatte, rief er Suzanne an. Er erzählte, was geschehen war und wie er darüber dachte. Suzanne wirkte distanziert.
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