Jagdhunde (German Edition)
hockte auf einem der Anlegepfosten und reckte den Schnabel zum Horizont empor.
Wisting stellte den Wagen ab, lief zur Heckklappe und nahm den Karton mit den Falldokumenten heraus.
Die einzigen Geräusche waren der Wind, der in den letzten Herbstblättern raschelte, und die ans Ufer schlagenden Wellen.
Wisting spürte, dass die Umgebung etwas bewirkte. Er entspannte die Schultern und atmete aus.
Im Innern der Hütte hing noch immer der Farbgeruch. Line und er hatten die letzte Sommerwoche hier zusammen verbracht und ein wenig renoviert. Die Wohnstube war mit neuen Bezügen, Kissen und Gardinen in passenden Farben viel heller und angenehmer geworden.
Wisting stellte den Karton auf den Tisch und zog die Jacke aus. Dann begann er auszupacken. Er legte die Aktenordner auf den Tisch und sortierte sie nach Farben. Als er fertig war, entdeckte er eine Kassette, die ganz unten in der Schachtel gelegen hatte.
Es war eine Kopie. Eine BASF-Kassette, die er aber auf dieselbe Art gekennzeichnet hatte wie Cecilia ihre Originalkassette. CL.
Wisting blickte sich um. Unter dem Fensterrahmen stand noch immer das alte Transistorradio mit Kassettenspieler. Er zögerte, entschied sich aber schließlich, genau damit zu beginnen. Mit einer Aufnahme von Cecilia Lindes Stimme.
Er ging in die Hocke, drückte auf Eject und legte das Tonband ein. Er musste den Deckel des Kassettenfachs justieren und spulte zurück, bevor er die Aufnahme abspielte.
Er erkannte das Gesangsstück wieder, stand auf und wartete. Die Möwe unten am Steg hob ab und ging in einen kreisenden Gleitflug über. Benutzte die Luftströme, um sich im Schwebezustand zu halten, ohne mit den Flügeln zu schlagen.
Cecilias Stimme kam genauso abrupt wie beim ersten Mal, als er sie gehört hatte.
Am Samstag, dem 15. Juli, wurde ich von einem Mann gekidnappt, als ich draußen beim Joggen war. Es passierte an der Kreuzung beim Gumserød-Hof. Er hatte ein altes weißes Auto. Ich liege jetzt im Kofferraum. Alles ging so schnell. Ich konnte ihn nicht mal richtig erkennen, aber er roch unangenehm nach Rauch und irgendwas anderem. Ich habe ihn schon einmal gesehen. Er trug ein weißes T-Shirt und eine Jeans. Dunkles Haar. Kleine schwarze Augen und buschige schwarze Augenbrauen. Schiefe Nase.
Wisting hörte die gesamte Spieldauer von einer Minute und dreiundvierzig Sekunden ab. Bewegte die Lippen und sprach Teile des Inhalts laut mit. Ihre Stimme war klar und deutlich, doch sie sprach schnell, als hätte sie es eilig. Obwohl er die Aufnahme schon viele Male gehört hatte, kam sie ihm dennoch wie neu vor.
Er spulte zurück.
»… aber er roch unangenehm nach Rauch und irgendwas anderem. Ich habe ihn schon einmal gesehen.«
Er stoppte und spulte noch einmal zurück.
»Ich habe ihn schon einmal gesehen.«
Der Satz war nichts Neues für Wisting, bekam aber eine neue Brisanz. Es war ihnen nie gelungen, eine Verbindung zwischen Cecilia Linde und Rudolf Haglund nachzuweisen. In keinem einzigen der Dokumente auf dem Tisch gab es einen Schnittpunkt ihrer beider Leben. Er hatte gedacht, die Äußerung könnte bedeuten, dass sie ihm zuvor schon einmal auf einer Joggingtour begegnet war. Vielleicht hatte Rudolf Haglund sie ja sogar beobachtet und die Entführung geplant. Aber es konnte auch bedeuten, dass Cecilias Mörder sich irgendwo in ihrem persönlichen Umfeld befunden hatte.
25
Der Inhalt des Pappkartons umfasste außerdem noch einen Stapel zusammengehefteter Papiere, die nicht eingeordnet waren. Dabei handelte es sich um einen ausgedruckten Datensatz mit einer Übersicht aller in den Fall involvierten Personen. Jeder einzelne Name, der in den Ermittlungen auftauchte, war aufgeführt und mit einem Querverweis auf die Falldokumente versehen. Auf diese Weise war es einfacher herauszufinden, in welchem Zusammenhang eine Person schon früher erwähnt worden war, wenn der Name erneut auftauchte. Außerdem ließen sich die eingegangenen Hinweise und Tipps, denen ein Name zugeordnet war, leichter überprüfen.
Im Gegensatz dazu gab es jedoch keine entsprechende Möglichkeit herauszufinden, welche Polizeibeamten mit dem Fall beschäftigt gewesen waren und was sie im Einzelnen getan hatten. Theoretisch hätte sich wer auch immer in das Kriminallabor hineinschleichen und Beweisgegenstand A-3 austauschen können. Wenn Wisting Reinigungspersonal, Kantine, Hausmeisterdienst, Zivilabteilung und andere Büroangestellte miteinbezog, waren es über siebzig Personen, die Zugang zum
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