Jagdhunde (German Edition)
Während er sprach, konnte er hören, dass sie mit anderen Dingen beschäftigt war, dass sie Gläser und Teller herumräumte, und erkannte das Geräusch der Spülmaschine im Café.
»Wie geht’s dir denn?«, fragte er.
Sie erklärte, dass weniger Gäste als üblich kämen, und die Art, wie sie es sagte, ließ es so klingen, als wäre es seine Schuld.
Im Anschluss daran tauschten sie ein paar unbedeutende Phrasen aus, bis schließlich ein Kunde zur Kasse kam und sie das Gespräch beenden musste.
Ein Klicken und dann leere Stille.
Wisting blieb mit dem Handy in der Hand wie angewurzelt stehen. In seinem Gedächtnis hatte sich eine Unterhaltung festgesetzt, die er im letzten Herbst mit Suzanne in einem Hotelzimmer geführt hatte. Wisting war Gast in einer Talkshow gewesen und hatte unter anderem über einen toten Mann gesprochen, der in der Hütte des Fernsehmoderators gefunden worden war. Der Moderator hatte ihn dazu gebracht, mehr preiszugeben, als er geplant hatte, und Dinge anzusprechen, über die er normalerweise mit niemandem redete. Über die Gefahren seines Berufs, dass er schon mehrmals sein Leben riskiert hatte, und sogar über den Fall, bei dem er im Rahmen seiner Berufsausübung genötigt gewesen war, selbst zu töten. Vor laufender Kamera hatte er ebenfalls verraten, dass er schon sein eigenes Begräbnis geplant und den passenden Choral ausgesucht hatte, mit dem es beginnen sollte.
Es war seltsam gewesen, sich selbst über diese Dinge reden zu hören, noch dazu, da es Wasser auf Suzannes Mühlen war.
»Das gefällt mir nicht«, hatte sie gesagt. »Wie du dich selbst und deine Arbeit vor die Menschen stellst, denen du wichtig bist.«
Er war eine Antwort schuldig geblieben.
»Ich muss mich sicher fühlen können bei dem Mann, mit dem ich zusammenlebe«, war sie fortgefahren. »Auch dann, wenn ich nicht mit dir zusammen bin. Wie soll ich mich sicher fühlen, wenn ich mitbekomme, wie du arbeitest? Ich kann mich überhaupt nicht entspannen, wenn du nicht zu Hause bist. Jeden Abend und jede Nacht sitze ich da und frage mich, ob dies vielleicht der Tag sein wird, an dem du nicht zurückkommst. Mich frage, ob du vielleicht zu weit gegangen bist und einen Fall mit fremden Menschen für wichtiger hältst als dich und deine Familie.«
Wistings Finger wurden kalt, während er dastand und das Gespräch Revue passieren ließ. Er stopfte das Handy in die Hosentasche und ging wieder in die Hütte zurück. Nachdem er es sich im Sessel bequem gemacht hatte, zog er den schwarzen Aktenordner hervor, der die internen Ermittlungsnotizen enthielt, die sogenannten ›Nulldokumente‹.
Der Ordner war in fünf Abschnitte aufgeteilt. Fünf verschiedene Theorien und fünf verschiedene Szenarien, die beschrieben, was mit Cecilia Linde geschehen sein mochte.
Wisting ließ sich mit dem Ordner auf dem Schoß zurücksinken. All diese Projekte waren in dem Augenblick abgeschlossen worden, als Rudolf Haglunds Name auftauchte.
Als Erstes gab es die Lösegeldtheorie. Zwar hatte man im Polizeipräsidium nicht viel Erfahrung mit Kidnapping und Lösegeldforderungen, doch in den Gesprächen mit Nora und Johannes Linde war dieses Thema als eines der ersten aufgetaucht. Einen Monat vor der Entführung hatte die Zeitung Finansavisen eine Liste mit den reichsten Familien Norwegens publiziert und Familie Linde war auf dem neunten Platz gelandet. Ihr Geschäfts- und Privatleben war auf zwei ganzen Seiten geschildert worden, außerdem hatte man ein Foto des prächtigen Landsitzes an der äußersten Küste der Provinz Vestfold abgedruckt. Das Ganze war ein groß aufgemachter Artikel gewesen, der den Nährboden für diese Art von Kriminalität bereitet haben konnte.
Beide Elternteile hatten zum Ausdruck gebracht, dass sie zu bezahlen wünschten, falls eine Lösegeldforderung eintraf, waren aber einverstanden, dass die Polizei eventuelle Transaktionen überwachen würde. Mit jeder Stunde, die verging, ohne dass die Kidnapper von sich hören ließen, war allerdings die Hoffnung geschwunden, sich aus der Lage freikaufen zu können.
Wisting blätterte das Trennblatt um. Die nächste Theorie basierte ebenfalls auf Johannes Lindes Geschäftstätigkeit. Linde hatte die Firma Canes in Teilhaberschaft mit Richard Kloster gegründet. Kloster war ein halbes Jahr vor Lancierung der ersten erfolgreichen Kollektion ausbezahlt worden und hatte gegen den Linde-Konzern prozessiert. Dabei drehte es sich um Besitzanteile und Rechtsansprüche auf diverse
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