Jagdhunde (German Edition)
Theorie hatte immer als Möglichkeit existiert, war jedoch nie ernsthaft weiterverfolgt worden.
Das fünfte Trennblatt kennzeichnete das sogenannte ›Listenprojekt‹, welches die Haupttheorie beinhaltete: dass Cecilia von einem Unbekannten entführt worden war.
Einen unbekannten Täter zu jagen, gehörte zu den anspruchsvollsten Varianten einer Ermittlung, zumal es hier keine Abkürzungen gab. In solchen Fällen hatten Quantität und Qualität dieselbe Wichtigkeit. Die Ermittler mussten umfangreiche Untersuchungen anstellen, um alle Bewegungen an der Strecke zu berücksichtigen, der Cecilia aller Wahrscheinlichkeit nach gefolgt war, sowie jeden identifizieren, der sich zur selben Zeit in dieser Gegend aufgehalten hatte.
Das Resultat dieser Arbeit schlug sich in langen Listen nieder. Namenslisten, die nach Geschlecht und Alter eingeteilt und gemäß allen möglichen Aspekten wie Wohnort, Haarfarbe, Kleidung, eventuelle Fahrzeuge, Raucher/Nichtraucher, Rechtshänder/Linkshänder oder sonstigen Dingen, die für den Fall interessant sein konnten, sortiert und eingeordnet wurden. Im Großen und Ganzen bestand die Fahndung nach einem unbekannten Täter aus Listen. Langweilige lange Listen, die anscheinend niemals irgendwo hinführten.
Am Ende waren es dann Mathematik und Statistik, die eine Lösung ermöglicht hatten. Im Cecilia-Fall war die Namensliste mit einem Registerauszug aller Besitzer eines weißen Opel Rekords sowie einer Liste aller bekannten Sexualverbrecher abgeglichen worden.
Die Arbeit war so gewesen, als zöge man ein Schleppnetz hinter einem Boot her. Sie hatten das Fahrwasser abgefischt und waren abhängig von dem, was heraufgezogen wurde. Auf diese Weise hatten sie schließlich Rudolf Haglund gefunden, doch das Netz war ziemlich grobmaschig gewesen, sodass eine große Möglichkeit bestand, dass ihnen irgendwas oder irgendwer entkommen war.
Wisting lehnte sich zurück. Siebzehn Jahre nach dem eigentlichen Fall könnte es nun vielleicht interessant sein, die Listen erneut miteinander zu vergleichen. Damals waren sie weit in der Zeit zurückgegangen, um herauszufinden, ob vielleicht eine der Personen auf den Listen irgendwo einen dunklen Fleck in der Vergangenheit hatte. Jemand, der solch eine Tat beging, so hatten sie spekuliert, musste etwas Ähnliches schon einmal getan haben.
Wisting ergriff den Stapel mit den Listen und ließ die Bögen durch seine Finger gleiten. Ohne das Computersystem der Polizei konnte er nicht viel ausrichten.
27
Das gleichmäßig heftige Regenwetter ließ die Luft vor dem Hotelfenster grau erscheinen und verwischte die Konturen der Stadt.
Line zog die Gardinen vor und schlüpfte aus ihren Stiefeletten. Eigentlich hätte sie gerne geschlafen, setzte sich stattdessen jedoch an den Schreibtisch und nahm das Modellauto in die Hand, das sie vor dem Haus von Jonas Ravneberg gefunden hatte.
Es war ein 1955er-Cadillac-Modell, wie sie auf der Unterseite lesen konnte. Die Zahlen 1:43 verrieten offenbar das Größenverhältnis zwischen Modell und Original. Sie öffnete die Türen und spähte in das Wageninnere, bevor sie das Modellauto wieder wegstellte.
Im Café hatte sie aufgelistet, welche Dinge sie erledigen wollte. Zunächst war das Mobiltelefon des Mordopfers an der Reihe. Es hätte die Polizei noch vor ihr zu Jonas Ravnebergs Adresse führen können, dachte sie, wusste aber andererseits, dass der erste Streifenwagen, der an einem Tatort auftauchte, die Sicherung der Umgebung vornehmen musste und die Untersuchung eines Mordopfers den erfahrenen Kriminaltechnikern überließ, die herbeigerufen wurden. Sobald diese eintrafen, begann eine methodische und mühsame Arbeit, bei der die Hauptregel lautete, nichts zu übereilen.
Sie nahm ihr eigenes Mobiltelefon in die Hand und öffnete die Funktion im Einstellungsmenü, mit der die Identität des Anrufers verborgen werden konnte. Dann wählte sie die Nummer, die in dem Polizeibericht als unregistriert aufgelistet war. Die ersten beiden Ziffern lauteten sechs und neun, was darauf verwies, dass die Nummer des Teilnehmers in Fredrikstad vergeben worden war.
Sie ließ es so lange klingeln, bis das Signal verstummte. Sie wusste, dass manche Menschen einfach nicht ans Telefon gingen, wenn der Anruf von einer verborgenen Nummer erfolgte, und reaktivierte die Nummernanzeige. Dann versuchte sie es erneut und öffnete ihr Laptop, während das Signal im Hörer weiterklingelte. Zwar vertraute sie dem Polizeibericht, suchte die Nummer aber
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