Jagdhunde (German Edition)
beitragen konnte. Schließlich schüttelte er die Gedanken ab. Er musste siebzehn Jahre zurück in die Vergangenheit.
So gut wie alle Morde in Norwegen werden aufgeklärt, dachte er. Nicht nur er hatte den Druck und die Verantwortung im Cecilia-Fall auf den Schultern gespürt. Die Fahndung war ohne konkrete Spur verlaufen, und als Rudolf Haglunds Name auftauchte, war es so, als wäre ihnen allen eine schwere Last abgenommen worden. Wisting hatte das befriedigende Gefühl des Erfolgs verspürt. Endlich ein Durchbruch. Ein Name. Ein Verdächtiger, auf den die Ermittlungen ausgerichtet werden konnten.
Doch alles, was sie zustande gebracht hatten, war die Konstruktion ihrer eigenen Version der Ereignisse. Sie hatten all ihren professionellen Stolz in diese Arbeit gelegt, die sich darauf konzentrierte, ein überzeugendes Bild von Rudolf Haglund als Täter zu zeichnen.
Wisting hatte das nicht zum ersten Mal erlebt. Der Druck und die Forderungen nach Aufklärung und Ergebnissen konnten dazu führen, dass voreilige Schlüsse gezogen wurden. Ausgehend von den ersten vorliegenden Beweisen hatten sich die Ermittler ein eigenes Bild von den Zusammenhängen gemacht. Und nachdem sie sich erst mal eine Meinung gebildet hatten, begann ein unbewusster Prozess der Suche nach Bestätigung.
Sie hatten den Tunnelblick bekommen und angefangen, solche Informationen zusammenzustellen, die mit der Haupttheorie übereinstimmten. Sie waren Jagdhunde und hetzten die Beute, deren Witterung sie aufgenommen hatten. Alle Nebenspuren und potenzielle Ablenkungen wurden ignoriert. Sie waren hinter Rudolf Haglund her. Er musste nur eingekreist werden.
Wisting schloss die Augen und visualisierte den heißen Sommertag vor siebzehn Jahren. Cecilia kam den Weg heraufgelaufen. Das Sonnenlicht brach durch das Laubwerk der grünen Bäume. Cecilias Muskeln zeichneten sich unter dem eng sitzenden Laufshirt ab. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jedem Schritt hin- und herschwang. Der Kopfhörer saß eng und die Musik war so laut, dass sie von anderen gehört werden konnte. Seal. Kiss from a rose. Ihr Schweiß perlte von der Stirn ab und bildete einen feuchten Flecken auf der Brust.
In Wistings Vorstellung war es immer noch Rudolf Haglund, der auf der Kante des geöffneten Kofferraums saß und wartete. Weißes T-Shirt und Jeans. Eng zusammenstehende Augen, schiefe Nase und Zigarette im Mundwinkel. Als er sie erblickte, warf er die Zigarette weg und sah in alle Richtungen, um sich zu vergewissern, dass er allein war. Dann stellte er sich mit dem Rücken zu ihr, und während sie an ihm vorbeilief, stürzte er sich auf sie. Umklammerte sie mit den Armen und bugsierte sie in den Kofferraum.
Wisting musste feststellen, dass er sich noch immer sicher war, und öffnete die Augen. Rudolf Haglund hatte Cecilia Linde entführt. Aber Wisting spürte auch den Zweifel, der sich eingestellt hatte.
Er warf einen Blick in den Spiegel. Der Pappkarton im Kofferraum seines Wagens enthielt Tausende von Dokumenten. Mehrere Hundert Namen. Er konnte die Möglichkeit nicht ausschließen, dass sie auch einen alternativen Namen enthielten. Einen alternativen Mörder.
Über den Seitenweg kam ein Mann mit Stock und dickem Regenzeug heraufgelaufen und steuerte auf die Briefkästen zu. Tim Bakke, wie Wisting bemerkte. Ein Mann mit grau meliertem Haar, grünen Augen und kräftigen Oberarmmuskeln. Er wohnte in dem ersten roten Haus auf der rechten Seite des Zufahrtsweges. Hinter der Garage hielt er vier Hühner. Als Wisting ihn vernommen hatte, war er hauptsächlich mit dem Fuchs beschäftigt gewesen, der das fünfte Huhn gestohlen hatte.
Wisting setzte den Wagen in Bewegung. Der grobe Kies knirschte unter den Reifen, als er weiterfuhr. Nach zehn Minuten bog er erneut ab.
Es war ein knappes Jahr her, seitdem er die Ferienhütte draußen in Værvågen übernommen hatte. Ein Ort, den er mochte und an dem er ausspannen konnte.
Auf dem Weg vor ihm erstreckten sich zwei parallele Reifenspuren, die von braunem Brackwasser angefüllt waren. Nach einem Dreiviertelkilometer durch dichten Wald führte der Weg eine kleine Anhöhe hinauf. Wisting konnte bereits die Felsen erkennen, die sich unter ihm sanft ins Meer hinauszogen.
Die Zufahrt endete auf einem offenen, von dichten Heckenrosen gesäumten Platz, ungefähr dreißig Meter von der Hütte entfernt. Von dort aus führte ein befestigter Weg das letzte Stück hinauf.
Unten am Wasser lag der Steg. Eine stumme Möwe
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