Jagdhunde (German Edition)
Sicherheit gesehen hatte, war der Busfahrer der Linie eins. Das Mädchen befand sich im letzten Schuljahrgang der Oberstufe. Am Freitag, dem 2. Oktober, hatte sie sich bis 14:10 Uhr in der Schule aufgehalten. Eine halbe Stunde danach hatte sie an der Haltestelle Torstrand den Bus bestiegen. Der Linienbus fuhr auf der Landstraße dreihundertdrei über Tjøllingvollen nach Sandefjord. Um 14:49 Uhr war Linnea Kaupang an der Kreuzung Lindhjemveien ausgestiegen. Danach hatte sie niemand mehr gesehen.
Linnea Kaupang wohnte mit ihrem Vater ungefähr achthundert Meter von der Bushaltestelle entfernt. Zwischen ihrem Haus und der Hauptstraße lagen drei Nachbarhäuser. Ein pensionierter Seemann war zu dieser Zeit daheim gewesen. Er hatte das Nachbarmädchen oft von der Haltestelle nach Hause gehen sehen, doch nicht an jenem Tag.
Morten P und Harald hatten mit ein paar Schulfreundinnen gesprochen, die Linnea als pflichtbewusst und zuverlässig beschrieben. Die Fahndung wurde von Nils Hammer geleitet. Er erläuterte den Umfang der Suchaktion und schloss nicht aus, dass die Vermisste einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein konnte.
Line rief Morten P an.
»Wie geht’s dir?«, wollte er wissen.
»Mir tut noch immer der Hintern weh«, erwiderte sie. »Aber die Sache ist jetzt erledigt. Zumindest beinahe.«
»Beinahe?«
Sie erläuterte, dass sie einen losen Faden aus der Vergangenheit des Mordopfers in Fredrikstad herausgelöst hatte, der mit dem Cecilia-Fall verbunden war.
»Diese Geschichte gefällt mir nicht«, schloss sie ab. »Ich frage mich, ob es tatsächlich eine Verbindung gibt oder ob das nur ein Zufall ist.«
»Zufälle spielen sich die ganze Zeit ab«, gab Morten P zu bedenken. »Deshalb nennen wir sie ja so.«
Line musste ihm zustimmen. »Ich rufe eigentlich wegen der Linnea-Sache an.«
»Ja, verdammt merkwürdige Geschichte«, kommentierte Morten P. »Ich schreib hier gerade etwas über ihre elektronischen Spuren. Bis gestern Abend wurden die Signale ihres Handys aus Høgskolen in Vestfold aufgefangen.«
»Aber das liegt ja fast in Horten, ganz im Norden des Verwaltungsbezirks.«
»Ich weiß, das ist ja gerade das Merkwürdige.«
Line dachte scharf nach. »Kann das Handy vielleicht im Bus liegen geblieben sein, als sie ausgestiegen ist? Die Linie eins fährt doch durch den ganzen Bezirk bis hinauf nach Horten.«
»Schon möglich, aber dann muss es bei Bakkenteigen irgendwie aus dem Bus gekommen sein.«
»Was sagt denn die Polizei dazu?«
»Nichts. Wir haben Fotos von einer polizeilichen Suchaktion an der Haupststraße von Åsgårdstrand nach Borre, aber sie wollen keinen Kommentar abgeben.«
Line schwieg einen Augenblick. »Ich habe eine Theorie darüber, wer sie vielleicht entführt haben kann«, platzte sie schließlich heraus.
Auch am anderen Ende der Leitung wurde es für einen Moment still. »Eine Polizeitheorie?«, wollte Morten P wissen.
»Nein, und ich weiß auch, dass sich das vielleicht anhört, als würde ich mir hier verzweifelt irgendwas zusammenreimen. Aber die Theorie stammt weder von mir oder meinem Vater, sondern von einem Psychiatrie-Oberarzt.«
»Na, jetzt bin ich aber neugierig.«
»Ich glaube, dass Rudolf Haglund dahinterstecken könnte.«
Noch bevor sie den Satz beendet hatte, wurde ihr klar, wie banal sich diese Theorie anhören musste. Morten P erwiderte nichts und Line konnte beinahe vor sich sehen, wie er hinter seinem Schreibtisch saß, mit einem Kugelschreiber spielte und überlegte, wie er diese Idee mit möglichst schonenden Worten zerpflücken sollte.
»Ich weiß, es klingt ziemlich weit hergeholt«, sagte sie.
Morten P räusperte sich. »Irgendetwas ist mit ihr geschehen«, sagte er. »Ich habe mit ihren Freundinnen gesprochen und glaube nicht, dass sie aus eigenem Antrieb verschwunden ist. Ich glaube, jemand hat sie entführt. Und für mich klingt es wahrscheinlicher, dass jemand dahintersteckt, der so etwas früher schon einmal getan hat, als wenn’s jetzt noch irgendein anderer Irrer wäre.«
»Der Psychiater meint, dass sich durch den Gefängnisaufenthalt ein innerer Druck in ihm aufgestaut hat«, erklärte Line, um die Theorie weiter zu untermauern.
»Denkt die Polizei denn in dieselbe Richtung?«
»Ich weiß nicht, was die denkt. Aber sehr wahrscheinlich wäre das sowieso keine Grundlage, um ihn beobachten zu lassen.«
Line hörte, dass die Stimme des Kollegen plötzlich aufgekratzt wirkte.
»Weiß denn jemand, wo er sich gerade
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