Jagdhunde (German Edition)
zu verstehen, wieso er bestimmte Informationen und Gedanken äußert und andere nicht. Geschweige denn, seine Handlungen zu verstehen.«
»Aber er ist nicht geisteskrank?«
»Nein, aber ein psychologisches Rätsel.«
Line nahm auf dem Sofa Platz, öffnete ihr Laptop und schaute sich die Bilder auf der Kamera an, während sie wartete, dass der Computer hochfuhr. Wisting beendete das Gespräch und setzte sich ihr gegenüber.
»Wer war das?«, wollte Wistings Tochter wissen.
»Einer der Rechtspsychiater, die Rudolf Haglund untersuchten.«
»Was wolltest du denn von ihm?«
»Er hat mich angerufen«, sagte Wisting und berichtete von den Befürchtungen des Arztes, dass Rudolf Haglund etwas mit dem Verschwinden von Linnea Kaupang zu tun haben könnte.
Line ließ sich zurücksinken. »Ach du meine Güte«, stöhnte sie. »Dann soll er doch mit denen reden, die an dem Fall dran sind.«
Wisting nickte. »Ich habe Nils Hammer informiert.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich habe ihm eine SMS geschickt.«
»Eine SMS? Wenn ein erfahrener Psychiater glaubt, dass ein bekannter Mörder ein weiteres Mädchen entführt haben kann?«
Wisting zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Lust, Line zu erklären, dass Nils Hammer ganz oben auf der Liste der Kollegen stand, die den DNA-Beweis im Cecilia-Fall manipuliert und ihn in ebenjene Lage gebracht haben könnten, in der er sich jetzt befand.
»Hat er denn geantwortet?«, wollte Line wissen.
»Er hat geschrieben, dass er sich darum kümmern wolle«, erwiderte Wisting, »aber auch, dass es zwei interessante Spuren in dem aktuellen Fall gebe.«
Wisting wusste, dass die Haglund-Theorie ganz unten auf der Tagesordnung landen würde. Vorläufig war sie nicht mehr als ein Einfall.
»Die werden bestimmt nichts unternehmen«, wandte Line ein. »So wie die Situation gerade ist, werden sie sicher nicht wagen, gegen Rudolf Haglund vorzugehen.«
Wisting war derselben Ansicht. Eine gegen Rudolf Haglund gerichtete Ermittlung würde die Genehmigung der Anklagebehörde erforderlich machen, und nur aufgrund der Vermutungen eines pensionierten Psychiaters würde Audun Vetti kaum zustimmen.
Line erhob sich, ging zum Kamin und legte das letzte Holzscheit hinein. »Du triffst ihn morgen?«, fragte sie und starrte in die Flammen.
»Um zwölf«, bestätigte Wisting. »In der Kanzlei von Rechtsanwalt Henden. Dabei kann ich mich ja dann etwas vortasten und herausfinden, was das alles soll.«
Line nahm den Schürhaken und schob das Holzscheit etwas weiter ins Feuer hinein. »Wir könnten ihn verfolgen«, sagte sie, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. »Das Treffen ist ja ein Ausgangspunkt. Wir wissen, wo er ist, und könnten ihm von da aus folgen.«
»Ich weiß nicht …«, wandte Wisting ein.
Line drehte sich zu ihm um. »Das ist die einzige Möglichkeit«, erwiderte sie. »Falls er sie wirklich entführt hat, ist das die einzige Möglichkeit, um sie zu finden.«
Im Kamin knackte ein Zweig.
»Das ist Aufgabe der Polizei«, sagte Wisting.
»Glaubst du etwa, die werden das machen?«, fragte Line.
Wisting musste zugeben, dass Lines Einwand berechtigt war. Rudolf Haglund zu verfolgen, war vielleicht eine gute Idee, aber er glaubte nicht daran, dass Nils Hammer eine umfassende und personalaufwendige Beobachtung in Gang setzen würde. Dafür war die Beweislage viel zu dünn.
»Ich habe nach dem Termin noch eine andere Verabredung«, sagte Wisting. »Ich muss mich um zwei Uhr vor der Spezialeinheit verantworten.«
»Dann machen wir das ohne dich«, meinte Line. »Dich kennt er ja ohnehin.«
»Und wer ist ›wir‹?«
»Ich nehme jemanden von der Zeitung mit.«
»Das ist aber nicht so einfach«, wandte Wisting wieder ein. »Jemanden zu beschatten ist ein ganz eigenes Gebiet. Man braucht Erfahrung, um das Objekt nicht zu verlieren und dabei selbst nicht entdeckt zu werden.«
»Das ist auch ein Teil unseres Jobs«, erinnerte ihn Line. »Bei einem großen Fall ist es immer sehr interessant, der Polizei zu folgen und zu sehen, mit wem sie Kontakt hat. Du hattest bestimmt auch schon öfter mal einen Kriminalreporter auf den Fersen, ohne es zu bemerken.«
»Aber du kannst nichts darüber schreiben. Vergiss nicht, dass wir uns darauf geeinigt haben.«
»Ich werde nichts über den Cecilia-Fall schreiben.« Line zeigte auf den mit Notizen übersäten Wohnzimmertisch. »Doch falls uns Rudolf Haglund zu Linnea Kaupang führen sollte, ist das eine ganz andere Sache.«
48
Wisting und Line
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