Jagdopfer
Erleichterung, weil dieses Kapitel seines Lebens - die lange Arbeitszeit, die schlechte Bezahlung, der frustrierende Versuch, angesichts einer betäubend gleichgültigen Verwaltungsbürokratie seine Arbeit anständig zu erledigen - vorbei war; und Zorn, ja schlimme, ihm ganz unvertraute Aufwallungen weiß glühender Wut darüber, ein Bauer im Schachspiel eines anderen zu sein.
Er versuchte, nicht länger darüber nachzudenken, dass er heute womöglich fast zum letzten Mal diesen Pick-up fuhr und seine Uniform trug. Er würde ja nicht einfach nur seinen Job verlieren, sondern auch das Bild, das er von sich hatte. Ohne Dienstmarke war er genau wie alle anderen. Zum ersten Mal dämmerte ihm, warum ein Polizist seine Waffe lieber auf sich selbst richten
mochte, statt sie bei seiner Dienststelle abzugeben. Joe kämpfte gegen das Selbstmitleid, das ihn zu überwältigen drohte.
Also dachte er an das, was er in der Bibliothek herausgefunden hatte.
Das Wissen über die Miller-Wiesel stammte aus vier Hauptquellen: aus den Aufzeichnungen von Captain Lewis, aus den Beobachtungen früher Biologen, aus den Erwähnungen in den Tagebüchern der Pioniere und aus einer Reihe von Artikeln über die letzte bekannte Population der Tiere, die 1887 im Zoo von Philadelphia gezeigt worden war. Diesen Artikeln zufolge waren sie damals ein beliebtes Ausstellungsstück - viele Jahre bevor der Ausdruck »gefährdete Art« aufkam. Die höchstens dreißig Zentimeter langen und erstaunlich schnellen Miller-Wiesel waren enger mit dem europäischen Hermelin verwandt als jede andere nordamerikanische Tierart. Äußerlich schienen sie auch dem eichhörnchengroßen Ziesel zu ähneln, das allerdings zu den Hörnchen gehört. Die Wiesel waren Allesfresser und stürzten sich auf Eier, Schlangen, Mäuse, Vögel, Eidechsen, Obst, Insekten, Pflanzenzwiebeln und Körner. Angeblich jagten sie sogar Füchse und Hunde. Laut Schätzungen lebten Anfang des 19. Jahrhunderts bis zu einer Million Miller-Wiesel in den Rocky Mountains und östlich davon in der Prärie, den Great Plains, und zwar in Sippen von fünf bis dreißig Tieren. Sie wechselten mehrmals im Jahr ihre Behausung, denn sie folgten den Bisons auf ihren Wanderungen. Sie waren nicht nur auf deren Aas angewiesen, sondern auch darauf, dass die Bisons den Boden beim Grasen mit den Hufen aufwühlten und so Pflanzenknollen und kleine Tiere freilegten, von denen sie sich ernährten.
Die Indianer hielten die Wiesel für glückbringende Tiere, malten sie auf ihre Zelthäute und stickten sie auf ihre Kleidung. Und das aus einem einfachen Grund - wo Miller-Wiesel waren, waren auch Bisons in der Nähe.
In vielen Tagebüchern der Siedler, die auf dem Oregon Trail mit Pferd und Wagen nach Westen zogen, werden die Wiesel erwähnt, nie aber ausführlich beschrieben. Meist ging es nur darum, die Tiere bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu töten. Offenbar hatte sich die Legende gebildet, dass die so knuddelig aussehenden Wiesel Menschenfleisch mochten. Die Biologen, die die Tagebucheinträge untersuchten, vermuteten, die Pioniere hätten nicht nur beobachtet, dass sich die Wiesel vom Aas der Bisons ernährten, sondern vielleicht auch, dass sie sich in die zahlreichen Gräber am Oregon Trail wühlten. Unbestätigten Gerüchten nach waren die Tiere dafür bekannt, sich nachts in die Wagen der Siedler zu stehlen und Babys im Schlaf anzunagen. Wegen dieser Legende wurden Miller-Wiesel mit allen Mitteln ausgerottet. Die Pioniere ließen vergiftetes Fleisch und Getreide als Köder bei den Bauen der Tiere zurück. Auch errichteten sie immer wieder Feuer auf den Höhlenausgängen der Wiesel oder fluteten ihre Gänge, um die fliehenden Tiere dann totzuknüppeln. Und die Wiesel wurden natürlich auch erschossen, kaum dass sie sich zeigten. Manchmal mähte ein einziger Schuss mit der Schrotflinte gleich zehn Tiere nieder, wenn sie eng beieinander auf den Hinterläufen standen und laut fiepsten.
Was die Miller-Wiesel aber tatsächlich zum Aussterben brachte, war die fast völlige Vernichtung der großen Bisonherden der Great Plains. Weil sie vom Bison abhängig waren, starben sie aus, als er verschwand. Erst
viele Jahre später wurde offenkundig, dass es in Nordamerika keine Miller-Wiesel mehr gab.
War es möglich, dass doch noch ein paar dieser Tiere lebten?
Ja, dachte Joe, das ist möglich. Vielleicht haben sie gelernt, etwas anderes zu fressen. Wenn die verbliebenen Wiesel ihre Hauptnahrungsquelle ändern konnten,
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