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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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geschleppt hatte, hatte sie ständig an ihn denken müssen. Und jetzt war er wieder da, direkt vor ihr! Er wirkte so nett, doch er hatte so furchtbare Sachen gesagt. Und er sah sie an, als bedeute sie ihm viel. Als seien sie einander dadurch, dass sie das Geheimnis teilten, irgendwie besonders nah. So hatte sie noch nie über einen erwachsenen Mann gedacht. Das machte ihr Angst. Und zugleich fühlte sie sich schuldig.
    Sie versuchte, unauffällig in beide Fahrtrichtungen zu schauen.
    »Es kommt niemand«, sagte der Mann, und dabei
schlich sich ein ärgerlicher Ton in seine Stimme. »Was ist los? Hast du Angst, ich könnte mich von der Stelle rühren? Meinst du, ich schnapp dich oder so?«
    Sie antwortete nicht. In ihrer Fantasie war der Pick-up ihres Dads auf der Hügelkuppe aufgetaucht und kam näher.
    »Wenn du ein paar Jahre älter wärst, könnt ich vermutlich nicht ruhig sitzen bleiben«, sagte der Mann lachend. »Aber vorläufig bist du sicher.« Seine Stimme wurde leiser. »Es sei denn, du willst gar nicht so sicher sein.«
    Sheridan wandte den Kopf ab. Er sollte nicht sehen, wie verängstigt sie war.
    »Machen wir’s kurz, damit wir beide unserer Wege gehen können«, sagte der Mann. Seine Stimme war jetzt ernst. »Wie hast du die kleinen Wiesel dazu gebracht, aus dem Holzstapel zu kommen?«
    Sheridan sagte, sie habe Futter darauf gestreut. Wie Regen.
    »Was für Futter?«
    Cornflakes, sagte sie. Rosinen, Nüsse, Brot, manchmal kleine Stückchen Hamburger.
    »Und das hast du einfach so auf den Stapel rieseln lassen, hm? Kamen sie jedes Mal raus?«
    »Nein«, sagte Sheridan, »nicht jedes Mal.«
    Der Mann schien nachzudenken. Sie konnte seine Augen nicht erkennen, doch sie spürte, dass er sie durch die Brille zornig anstarrte.
    »Sheridan, verschweigst du mir etwas?«
    Ihr wurde eiskalt. »Nein«, log sie. Sie betete, er würde sie nicht fragen, ob sie wisse, wo die Wiesel sich jetzt aufhielten. Denn sie war sich nicht sicher, ob sie darauf
würde antworten können, ohne dass er ihr ansähe, dass sie log. Aber er fragte nicht danach. Wie die meisten Erwachsenen dachte er, er wisse alles.
    »Unsere Abmachung gilt doch noch immer, Schätzchen?«
    Sheridan nickte erleichtert - das Thema wäre erledigt. »Abgemacht ist abgemacht.«
    »Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte er langsam, fasste dabei zum Handschuhfach und zog am verchromten Griff. Der Deckel klappte runter. Irgendwas lag da im Fach. »Schau mal«, befahl er mit einer Stimme, die sie gehorchen ließ.
    Sie konnte nicht gut erkennen, was er ihr zeigte. Das Handschuhfach war dunkel, aber in der Ecke lag etwas - rund, weiß und ungefähr so groß wie seine Faust. Nein, es war nicht weiß, sondern in weißes Papier eingepackt. Und das Papier hatte viele rote Flecken. Und sah nass aus.
    Er klappte den Deckel zu, bevor sie das Etwas genauer hatte sehen können.
    Jetzt flüsterte er fast: »Hast du schon mal den Kopf eines Kätzchens gesehen? Nur den Kopf meine ich, Sheridan, nur den Kopf. Wenn man so’nem Kätzchen den Hals umdreht, bricht ihm das Genick. Und weißt du, wie das knackt? So wie deine Knöchel, wenn du an den Fingern ziehst.«
    Sheridan trat zurück und fiel beinahe die Böschung runter. Sie schlug die Hände vor den Mund und war vollkommen verängstigt.
    Der Mann zeigte mit dem Finger aufs Handschuhfach. »Das könnte jemandem zustoßen, den du sehr gut kennst, wenn du unser Geheimnis nicht streng für dich behältst.«

    Unwillkürlich wich Sheridan vom Auto zurück und schlitterte dabei ein kurzes Stück die Böschung runter. Sie wollte so weit wie möglich von dem wegkommen, was im Handschuhfach lag.
    »Wenn ich die Viecher nicht aus dem Stapel kriegen kann, musst du mir womöglich dabei helfen«, sagte der Mann. »Vielleicht kannst du mit ihnen in der Wieselsprache reden oder so. Was weiß ich?«
    Er ließ den Wagen an und rief durch das Motorengeräusch: »Mach’s gut, Schätzchen. Und wünsch mir Glück mit den Wieseln.«
     
    Der Mann fuhr los. Im Rückspiegel beobachtete er, wie der gelbe Schulbus über den Hügel kam und an der Haltestelle bremste. Jetzt stieg das Kind zur Fahrbahn hoch. Die Tür öffnete sich, und das kleine Mädchen im blauen Kleid verschwand im Bus. Sie war schon süß, diese Sheridan.
    Er beugte sich vor, öffnete das Handschuhfach und fasste hinein. Das Päckchen war noch warm und das Papier fettig. Er streifte die Verpackung mit den Zähnen ab. Dann biss er herzhaft hinein, und Ketchup spritzte ihm auf den

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